Obwohl sie in anderen Branchen bereits Erfolge feiern konnten, Weiterbildungen absolviert haben und für die neue Aufgabe brennen, gelingt Interessierten der Quereinstieg nur schwer. Ist diese Abneigung noch immer zeitgemäss?
In einer Arbeitswelt im Wandel (und wir wandeln uns rasant!) reicht Fachwissen alleine nicht mehr. Es braucht auch Lernfreude, Initiative und den Mut zur Veränderung. Quereinsteigenden mangelt es zwar an Fachwissen, dafür sind sie bestens ausgestattet mit Mut, Motivation und Wissbegierde. Höchste Zeit also, den Quereinstieg nicht länger als Notlösung, sondern als echte Chance zu sehen!
Fachexpertise ist wichtig – aber nicht alles
«Passt nicht ins Anforderungsprofil», «fehlende Berufserfahrung» oder «abweichender Branchenhintergrund» – diesen Satz hören Quereinsteigende (oder Menschen, die einen Quereinstieg wagen wollen) auch heute noch viel zu oft. Natürlich ist fachliche Kompetenz in jeder Position essenziell. Aber was nützt reines Expertenwissen, wenn die Motivation fehlt? Wenn Aufgaben routiniert, aber ohne Elan erledigt werden? Wer dagegen aus echter Überzeugung eine neue Richtung einschlägt, bringt oft mehr Energie, Engagement und Gestaltungswillen mit als jemand, der «einfach nur» auf dem bekannten Gleis weiterfährt. Der Einfluss intrinsischer Motivation ist ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor – gerade in Zeiten, die schnelle Anpassungsfähigkeit, Eigenverantwortung und Gestaltungswillen verlangen.
Allrounder statt Einbahn-Karriere?
Quereinsteigende sind oft wahre Allrounder: Sie haben unterschiedliche berufliche Stationen durchlaufen, andere Perspektiven eingenommen und sich dabei ein breites Kompetenzspektrum angeeignet. Sie bringen frische Ideen, stellen festgefahrene Prozesse infrage und kombinieren Skills aus verschiedenen Bereichen. Ihr Blick von aussen kann intern viel bewegen – weil sie nicht betriebsblind sind, kritische Fragen stellen und von Natur aus neugierig bleiben.
Selbstdisziplin, Organisationstalent und Lernbereitschaft
Wer sich beruflich neu orientiert, beweist nicht nur Interesse an Veränderung, sondern auch Disziplin, Zeitmanagement und Eigeninitiative, umso mehr, wenn Weiterbildungen noch während oder neben einem anderen Job gestemmt werden. Diese Menschen investieren in sich selbst – ohne Garantie auf Erfolg. Sie setzen Prioritäten, organisieren ihren Alltag neu und halten durch, auch wenn es mühsam wird. Solche Eigenschaften lassen sich nicht «ausbilden». Sie sind Ausdruck innerer Haltung und Motivation und beweisen Resilienz – eine ebenso wertvolle Eigenschaft fürs Berufsleben. Wer das mitbringt, kann auch komplexe Herausforderungen im Alltag souverän meistern.
Der grosse Vorteil: Klarheit über die eigenen Ziele
Quereinsteigende wissen oft ganz genau, was sie wollen – und was nicht. Der bewusste Schritt in eine neue Richtung erfolgt nicht aus einer Laune heraus, sondern nach einer Phase intensiver Reflexion und Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen. Anders als bei einer klassischen Karriere, die eher geradlinig und zufällig verläuft, ist hier viel Absicht und Strategie im Spiel. Diese Klarheit ist ein Gewinn für Arbeitgebende: Wer weiss, was der Richtungswechsel bedeutet, ist in der Regel loyaler und engagierter.
Chancen geben statt Chancen verpassen
Zu viele Bewerbungen von Quereinsteigenden verschwinden noch immer im digitalen Nirvana und bleiben unbeachtet, weil sie formal nicht exakt auf die Ausschreibung passen. Dabei könnten gerade diese Talente das Team bereichern, neue Impulse einbringen und langfristig Stabilität schaffen. Der Quereinstieg fördert auch Diversität im Unternehmen – nicht nur hinsichtlich beruflicher Herkunft, sondern auch bei Perspektiven, Problemlösungen und Denkweisen. Ein vielfältiges Team ist ein Wettbewerbsvorteil und insgesamt eine Stärkung fürs Unternehmen. Es lohnt sich also, die Perspektive zu wechseln: Anstatt zu fragen «Passt dieses Profil?», besser «Passt die Persönlichkeit und das Potenzial?». Wer bereit ist, Menschen mit unkonventionellem Werdegang eine Chance zu geben, wird oft überrascht – im besten Sinne.
Unterm Strich: Neue Wege statt alter Muster
Die Arbeitswelt verändert sich viel schneller, als Unternehmen Prozesse adaptieren können – und damit auch die Anforderungen an Talente. Fachwissen kann man sich aneignen, Haltung und Engagement nicht so leicht. Auch ich habe in der Vergangenheit Absagen mit der Begründung «mangelnde Passung» formuliert. Doch manchmal frage ich mich, ob das zu kurz gedacht war und ob es nicht Zeit wird, Quereinsteigenden mehr Chancen zu ermöglichen. Für stärkere Teams. Für stärkere Unternehmen. Für eine lebendige, diverse Arbeitswelt.