Wozu eine zusätzliche Mutterschaftsversicherung, wenn eine Schwangere auch krankgeschrieben werden kann? Doch wer Druck auf Ärztinnen oder Ärzte ausübt, riskiert eine Anstiftung zur Urkundenfälschung: ein Offizialdelikt.
Nicht in allen Berufen sitzt man an einem Schreibtisch und geht einer sitzenden Tätigkeit nach. Beispielsweise in der Reinigung, Wäscherei, Service oder in der Baubranche ist die primär zu verrichtende Arbeit stehend oder gehend.
Für schwangere Frauen gelten besondere arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen: Sie dürfen höchstens neun Stunden pro Tag arbeiten und haben ab dem vierten Schwangerschaftsmonat Anspruch auf zusätzliche Pausen. Ab dem sechsten Monat muss bei stehender oder gehender Tätigkeit die Arbeitszeit auf maximal vier Stunden pro Tag begrenzt werden. Für die restliche Zeit ist eine sitzende Tätigkeit anzubieten – andernfalls hat die Frau Anspruch auf 80 Prozent ihres Lohns (vgl. Broschüre «Mutterschutz im Betrieb» vom SECO). Eine sitzende Tätigkeit kann aber nicht in allen Fällen angeboten werden. Die einfachste Lösung: Die schwangere Frau wird zu 50 Prozent krankgeschrieben, so können die Kosten – je nach Versicherung – auf die Krankentaggeld-Versicherung überwälzt werden.
Schwangerschaft ist jedoch keine Krankheit. Grundsätzlich sind schwangere Frauen arbeitsfähig (vgl. Broschüre Mutterschaft SECO). Deshalb ist die beschriebene Lösung in den meisten Fällen falsch. Dennoch bitten viele schwangere Frauen um Krankschreibung, auch auf Drängen des Arbeitgebers. Es kann sogar vorkommen, dass der Arbeitgeber direkt bei die betreuenden Frauenärztin/den betreuenden Frauenarzt zugeht und eine Krankschreibung fordert.
Juristisch sind dabei verschiedene Punkte relevant:
- Das Vertrauensverhältnis zwischen der schwangeren Frau und der behandelnden medizinischen Fachperson ist persönlich und geschützt. Der Arbeitgeber hat sich nicht in diese Beziehung einzumischen. Ärztinnen und Ärzte unterstehen dem Berufsgeheimnis und dürfen Informationen grundsätzlich nur mit Einverständnis der behandelten Person weitergeben – abgesehen von den allgemeinen Informationen auf dem Arbeitsunfähigkeits-Zeugnis, wie lange eine Person voraussichtlich nicht arbeiten kann, beziehungsweise zu wie viel Prozent und inwiefern es sich um eine Krankheit oder einen Unfall handelt.
- Ein Arztzeugnis gilt als Urkunde. Es dient dem Nachweis einer Tatsache mit rechtlicher Relevanz. Der Inhalt muss korrekt sein. Falschangaben sind keine Bagatelle: Sie können den Straftatbestand der Urkundenfälschung erfüllen. Sei es als Fälschung selbst, als erschlichene Falschbeurkundung oder als Anstiftung dazu.
Erstellt die betreuende medizinische Fachperson wider besserem Wissens ein Arbeitsunfähigkeits-Zeugnis, obwohl die schwangere Frau Anrecht auf eine sitzende Tätigkeit hätte, die ihr jedoch nicht angeboten wurde, handelt es sich um eine Urkundenfälschung. Erfolgt das auf Drängen des Arbeitgebers, so begeht dieser eine Anstiftung zur Urkundenfälschung.
In der Praxis kommt das leider häufig vor. Ganz allgemein ist ein Arbeitsunfähigkeits-Zeugnis einfach erhältlich. Im Zweifelsfall kann eine schwere vorübergehende psychische Belastung diagnostiziert werden. Der volkswirtschaftliche Schaden wird dabei stillschweigend in Kauf genommen. Denn das Vertrauensverhältnis zu Patientinnen und Patienten ist wichtig. Abgesehen davon: Wer hat noch einen Hausarzt, der die Patientinnen oder den Patienten wirklich kennt?
Zurück zur schwangeren Frau im sechsten Monat: Eine Zusatzversicherung bei Schwangerschaft würde das Problem lösen, ist jedoch mit Kosten beim Arbeitgeber verbunden (vgl. auch Übersicht über die verschiedenen Schutzmassnahmen: Übersichtstafel Seco). Doch auch Versicherungen selbst hätten es in der Hand, solche Krankmeldungen genauer zu prüfen, was sie jedoch inkonsequent tut. Und auch die Strafverfolgungsbehörden, obwohl es sich um ein Offizialdelikt handelt, verfolgen solche Anzeigen nur bedingt. Die Gründe: Überlastung sowie nicht vorhandenen Kapazitäten. In der Folge bleibt es Sache von einzelnen engagierten Gynäkologinnen und Gynäkologen, die sich dagegen wehren. In den meisten Fällen will man aber diesen Kampf nicht auf Kosten der schwangeren Frauen führen, somit erfolgt die erwünschte und/oder erhoffte Krankschreibung.
Ende gut alles gut? Oder eher stillschweigende Duldung, weil die Umsetzung einer Änderung der jetzigen Praxis sehr schwierig ist?