In der Pandemie mussten wir unsere Büros verlassen, weil es nicht anders ging. Vier Jahre später haben einige den Weg zurück nicht mehr gefunden. Dass sich in gewissen Kreisen Resignation breit macht, ist verständlich. Der Bürozwang respektive ein Homeoffice-Verbot führt jedoch nur zu Verlierern. Kritische Gedanken zur Rückkehr ins Büro per Zwang von unserer Bloggerin Barbara Josef.
«Du bist doch so für Homeoffice. Was ist deine Meinung zum Homeoffice-Verbot, das jetzt immer mehr Firmen aussprechen?» «Ich bin nicht für Homeoffice. Ich bin für eine Kultur der Zusammenarbeit, die von maximaler Eigenverantwortung geprägt ist. Das bedingt, dass man der Versuchung trotzt, wegen einiger wenigen, die nur ihren eigenen Nutzen maximieren, die Mehrheit der Mitarbeitenden bewusst zu demotivieren. Stattdessen sollten wir uns von Menschen trennen, die das Vertrauen gezielt missbrauchen.»
Dieser Dialog hat kürzlich in meinem privaten Umfeld stattgefunden und eigentlich ist damit zum Thema «return to the office» schon alles gesagt. Ausser dass es nicht «immer mehr Firmen» sondern einige wenige Ausnahmen sind. Trotzdem möchte ich das Thema mit den nachfolgenden Punkten differenzierter beleuchten, verbunden mit der Hoffnung, dass es uns gelingt, nicht leichtsinnig unser gegenseitiges Goodwill-Kapital zu verspielen.
- Schweizer Erwerbstätige messen der Arbeit viel Bedeutung zu: Der kürzlich erschienene HR Barometer 2024 der ETH Zürich, der Universität Zürich und der Universität Luzern zeichnet ein optimistisches Bild der Arbeitswelt. «Fast drei Viertel (71%) der Befragten gehen voll und ganz oder eher in ihrer Arbeit auf und haben damit das Gefühl, sich dort weiterentwickeln zu können und energiegeladen und vital bei der Arbeit zu sein. Auch empfindet die Mehrheit der Beschäftigten ihre Arbeit insgesamt als kohärent.» Das bedeutet, dass die Mehrheit der Erwerbstätigen die Arbeit mit grosser intrinsischer Motivation angeht. Starre Regeln beziehungsweise eine zu starke Bevormundung gefährden diesen starken inneren Antrieb.
- Pull- und Push-Faktoren unterscheiden: Von den beiden renommiertesten Forscherinnen zur Geschichte der Telearbeit, Bailey und Kurland, lernen wir, dass man bei der Betrachtung des Themas Homeoffice nach «Pull» und «Push» Faktoren unterscheiden muss. Während Organisationen die Push-Faktoren (Welche Missstände treiben mich aktiv aus dem Büro?) aktiv angehen sollten, gilt es, die Pull-Faktoren (Für welche Tätigkeiten zieht es mich ins Homeoffice?) zu fördern, da sie sich positiv auf das Arbeitsergebnis auswirken.
- Denkfehler remote work = Goodie: In vielen Arbeitsverträgen finden sich Aussagen wie «Die Mitarbeitenden dürfen in Abstimmung mit ihren Vorgesetzten Homeoffice machen». Das «dürfen» suggeriert, dass es sich um einen einseitigen Nutzen handelt. Vielmehr sollte die Arbeit ausserhalb des Büros als eine Option gesehen werden, von der beide Seiten profitieren. Sei das, wenn Mitarbeitende ausserhalb der Bürozeiten Kunden und Partnern weiterhelfen, unterschiedliche Zeitzonen überbrücken oder die Arbeit passend zum persönlichen Biorhythmus so gestalten, dass sie insgesamt kreativer beziehungsweise produktiver sind. Organisationen, welche die Arbeit im Homeoffice verbieten, verzichten damit auch bewusst auf das unternehmerische Denken und die Flexibilität der Mitarbeitenden, was in einer vernetzten Welt, die sich weder an Bürozeiten noch die 42-Stunden-Woche hält, eine verpasste Chance darstellt.
- Die besten Rahmenbedingungen für jeden Job: Bei den Argumenten, warum Homeoffice nicht gefördert wird, wird immer wieder die Fairness gegenüber anderer Berufsgruppen ins Feld geführt. Während dieses Motiv zwar ehrenhaft ist, macht es keinen Sinn. Wenn schlechte Bedingungen in der Logistik oder der Schalterhalle einer Bank herrschen, geht es niemandem besser, wenn die Bürolisten eingesperrt werden. Viel mehr gilt es, für jeden Job die besten Rahmenbedingungen zu schaffen und das gegenseitige Verständnis zu fördern, weshalb diese je nach Aufgabe und Verantwortung unterschiedlich aussehen.
- Geben und Nehmen in Einklang: Viele Unternehmen halten im Personalreglement fest, welchen Anteil der Zeit die Mitarbeitenden im Minimum im Büro verbringen müssen. Ich halte diese Regeln aus mehreren Gründen für nicht sinnvoll. Erstens schalten sie die Eigenverantwortung aus. Statt sich zu überlegen, wann Präsenz besonders wertvoll ist (zum Beispiel, wenn ein neues Team-Mitglied frisch anfängt) sitzen viele stur ihre fixen Bürotage ab. Zweitens werden Minimalisten sicherstellen, dass sie ja keine Minute zu viel vor Ort verbringen. Drittens ist die Vorstellung naiv, dass für alle Mitarbeitenden unabhängig von ihrer Rolle, Erfahrung und persönlichen Disposition das genau gleiche Setting sinnvoll ist. Nicht die absolute Gleichbehandlung zwischen unterschiedlichen Rollen ist das Ziel, sondern eine faire Balance zwischen dem individuellen Geben und Nehmen von Flexibilität.
- Bedeutsame Erlebnisse: Unser Verhalten wird durch Erfahrungen aus der Vergangenheit gesteuert. Wenn ich einen Tag im Büro als Mehrwert empfinde, werde ich mich auch in Zukunft freiwillig darum bemühen, möglichst viel Zeit vor Ort zu verbringen. Deshalb lautet die einfachste Frage für eine gesunde Präsenz: «Welche Art von Erlebnissen sind für die Mitarbeitenden bedeutsam?» Dabei geht es nicht nur um interne Events und Interventionen, sondern gleichermassen um niederschwellige Elemente. Ein spontaner Austausch mit der CEO auf der Treppe, ein Lacher an der Reception, ein gutes Check-in Gespräch im Team Meeting, ein spontanes Kompliment in der Kantine oder die unkomplizierte Unterstützung bei einem Zwischenfall bestärken das Gefühl, dass sich der Weg ins Büro gelohnt hat.
Der Religionshistoriker Gershom Sholem hat einst Zeitfenster, in denen eine grosse Offenheit für Veränderungen besteht, als «plastic hours» bezeichnet. Ähnlich beschrieb Hannah Arendt mit «revolutionary situations» Phasen, in denen durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Kräfte selbst radikale Veränderungen beziehungsweise eine Neuordnung möglich sind. In der Arbeitswelt befinden wir uns gerade in einer solchen Zeitqualität – ausgelöst durch den technologischen und gesellschaftlichen Wandel und verstärkt durch die Brandbeschleuniger Pandemie sowie Fachkräftemangel. Wir haben nun die Wahl, ob wir dieses Fenster mit der Rückkehr zum alten Verständnis «Command and Control» ungenutzt verstreichen lassen oder hingegen den mutigen Schritt nach vorne wagen und auf konsequente Eigenverantwortung und gegenseitige Verbindlichkeit setzen. Etwas vereinfacht gesagt können wir uns für die Abwärts- oder die Aufwärtsspirale entscheiden.