Reisezeit = Arbeitszeit?

ArbeitsrechtDie Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Freizeit ist bedeutend für zwei Fragen: Die eine betrifft das Vertragsrecht (OR): Welche Zeit ist als Arbeitsleistung anzurechnen und zu bezahlen? Die andere betrifft den öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutz (ArG): Welche Stunden sind als Arbeitszeit bei der Maximalarbeitszeit zu berücksichtigen? Während das ArG, beziehungsweise die Verordnungen definieren, was unter Arbeitszeit zu verstehen ist, überlässt das OR die Umschreibung der Arbeitszeit den Vertragsparteien. Soweit im Arbeitsvertrag aber nichts anderes vorgesehen ist, gilt auch hier die Regelung des ArG.

Fallen regelmässig Geschäftsreisen an, sollten die Parteien regeln, wie diese an die Arbeitszeit angerechnet werden. Gilt auch die Zeit für das Abendessen mit dem Kunden nach der Sitzung als Arbeitszeit? Wie ist es bei Auslandreisen mit der Flugzeit? Die Parteien sind frei, wie sie das regeln wollen. Allerdings müssen sie die Regeln eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV) einhalten, wenn dieser auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist.

Für die Berechnung der maximal zulässigen wöchentlichen Arbeitszeit ist die Regelung klar. Als Arbeitszeit gilt jene Zeit, während der sich der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin für Arbeitsleistungen zur Verfügung halten muss und damit unter ihrer Weisungsgewalt steht, sowie jene, in der er zwar etwas anderes machen darf, sich aber am Arbeitsplatz aufhalten muss (Pausen). Obgleich es zwischen Arbeitszeit und Freizeit nichts Drittes geben kann, bestehen erhebliche Abgrenzungsprobleme und Zeiten, die weder ganz dem einen noch dem anderen zuzurechnen sind (Pikettdienst).

Wegzeit als Arbeitszeit?

Dienstreisen sind Arbeitszeit, der Weg von zu Hause bis zum Arbeitsort (Arbeitsweg) aber nicht. Wenn Arbeit ausserhalb des Orts zu leisten ist, an dem der Arbeitnehmer normalerweise seine Arbeit verrichtet und dadurch die Wegzeit von zu Hause bis zum Einsatzort länger als üblich ausfällt, stellt die zeitliche Differenz zur normalen Wegzeit Arbeitszeit dar (Art. 13 Abs. 2 ArGV 1). Hat der Arbeitnehmer keinen üblichen Arbeitsort, gilt die gesamte Wegzeit als Arbeitszeit. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz bei sich zu Hause hat und zwischendurch Kunden aufsucht.

Das Bundesgericht hatte sich mehrfach mit dieser Abgrenzung zu beschäftigen. Eine Arbeitnehmerin war bei einem Unternehmen angestellt, das private Hausdienste anbot. Der Arbeitsvertrag sah als Arbeitsort den jeweiligen Einsatzort vor. Das war nicht zulässig. Vielmehr musste vom eigentlichen Arbeitsort am Sitz der Arbeitgeberin ausgegangen werden, womit der Weg von dort zum jeweiligen Einsatzort zu entschädigende Arbeitszeit war.

Auswirkungen des GAV

In einem anderen Fall verlieh ein Personalverleiher einen Arbeitnehmer an einen Elektrobetrieb. Dieser setzte den Arbeitnehmer an unterschiedlichen Arbeitsorten ein. Der auf den Einsatzbetrieb anwendbare allgemeinverbindlich erklärte GAV sah ausdrücklich vor, dass die für den öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutz geltende Regel bezüglich der Reisezeiten auch für das vertragliche Verhältnis gelte und beim Einsatz an verschiedenen Arbeitsorten zwingend der Sitz der Arbeitgeberin als vertraglicher Arbeitsort anzusehen sei. Die Arbeitgeberin verweigerte dem Arbeitnehmer die Entschädigung für die verschiedenen längeren Arbeitswege mit dem Argument, in ihren Arbeitsverträgen sei das anderes geregelt. Aufgrund des GAVs war aber die Regelung im Einzelarbeitsvertrag nicht zulässig und die Klage des Arbeitnehmers wurde gutgeheissen.

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