Wie Sie vielleicht wissen, widme ich mich hauptberuflich dem Thema «Besetzung von Lehrstellen». Die von mir im Jahr 2008 gegründete Plattform Yousty.ch betreut 600 Firmen und wir haben seit der Gründung mit über 7000 Unternehmen gesprochen. Vor allem mit Personalleitern, HR-Managern oder Lehrlingsverantwortlichen.
Hier meine Erkenntnisse, auf welche ich anschliessend eingehe:
- (Lehr-)Stellen besetzen hat im Wesentlichen mit der Firmenkultur zu tun und ist somit Chef-Aufgabe.
- Wer Lehrstellen besetzen kann, kann (fast immer) auch auf Fachkräfte und Spezialisten zurückgreifen.
- Es braucht «nur» Fachkompetenz.
Andersherum gesagt: Fast immer, wenn wir auf Firmen stossen, die ihre Lehrstellen nicht besetzen konnten, hat es damit zu tun, dass das Thema in der Geschäftsleitung zu wenig Aufmerksamkeit erlangt. Die Kultur der Firma ist so, dass sie dem Thema «Mitarbeitende» zu wenig Bedeutung zukommen lässt. Natürlich steht in den Unternehmensleitlinien, auf der Homepage und sonst wo etwas ganz anderes. Und immer wieder machen solche Unternehmen ein paar grossartige «Zusatz-Übungen»: Neue Homepages, Broschüren sowie Schulbesuche und Anzeigen schalten sind beliebt. Aber oftmals ohne Erfolg.
Zum nicht vorhandenen «Commitment» der Geschäftsleitung kommt fehlende Kompetenz in der Berufsbildungsabteilung. Und selbst wenn sie da ist, nützt sie nichts, da sie keine Unterstützung von der Chefetage erhält. Ein aktuelles Beispiel gefällig? Netzelektriker: Niemand kennt den Beruf, niemand will ihn erlernen. Fragen Sie mal einen Schüler, was für ein Lehrberuf dies ist. Der wird Ihnen was von Internet, Elektrik oder so erzählen… ;-)
Ich kenne Firmen, die haben vier Monate vor Lehranfang noch 20 Stellen offen. Das sind 20 fehlende Fachkräfte für die «Strom-Infrastruktur»! Schaut man deren Rekrutierungskanäle an, sind diese – falls überhaupt vorhanden – meist ungenügend. Fehlende jugendgerechte Darstellung und Information sowie schlechte Nutzerfreundlichkeit. Und da wundert sich noch jemand, wenn sich junge Lehrstellensuchende nicht für einen Beruf respektive eine Firma begeistern können?
Doch wenden wir uns den «Stars» zu. Stimmt die Kultur, kann die Firma irgendwo ihren Firmensitz oder Ausbildungsstandorte haben und die Berufe können noch so abenteuerliche Namen haben: Fast immer werden die Lehr-(Stellen) besetzt. Besucht man solche Firmen, spürt man schon am Empfang: Hier geht was! Und jetzt raten Sie mal, wie dieses Gefühl auf Schnupperlernende wirkt? Die Berufsbildner strahlen und unterstreichen mit jedem Wort ihre Begeisterung für Firma, Leute, Produkte und Kultur. Nach dem Motto: «Wir sind stolz, hier zu arbeiten. Die Arbeit macht Sinn. Unsere Produkte sind spitze. Wir geben Gas und Du kannst Teil davon werden. Willst Du?» Klar!
Hier ein paar Beispiele solcher Vorbildunternehmen: EMS Chemie (Technik-Berufe), Griesser AG (Polybauer), Walo Bertschinger (Bauberufe), Stryker Trauma AG (Polymechaniker), Swissmill (Müller), Aldi Suisse (Detailhandel) und noch viele mehr. Der Brand und die Berufe spielen dabei eine untergeordnete Rolle!
Und jetzt raten Sie mal in Bezug auf die Marketing-Kompetenz einer solchen Vorzeige-Firma. Ob gelernt oder nicht: Immer werden diverse Massnahmen ergriffen, immer neue aufgenommen und getestet, immer innovative, neue Sachen gesucht und gefunden und immer sind die Menschen sehr transparent und authentisch sicht- und wahrnehmbar. Man engagiert sich, man kennt sich aus. Die Menschen sind wichtig. Und…wer hätte es gedacht? Man erreicht die Zielgruppe! Egal welche Generation – ob Ü50 oder Generation Y oder Z. Und es hat sogar Platz für Leute die auf dem Papier und aufgrund ihrer Vorgeschichte keine Überflieger sind und trotzdem eine Chance bekommen
Was es dazu seitens der Firmen und der HR Leitung braucht:
1. Commitment
2. Focus
3. Hard Work
Die gute Nachricht: So einfach ist das…
Weitere Gedanken zu diesem Thema gibt es hier.
Lieber Urs
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Ich habe viele Jahre Berufserfahrung im Personalwesen und bei einigen Firmen auch Lernende betreut. Was mir während der Selektionsphase immer wieder aufgefallen ist: Viele Lernende haben gar keine Idee, was sie eigentlich für ihre berufliche Zukunft wollen…Manchmal kam es mir so vor, dass sie sich bei dem jeweiligen Unternehmen aus Gründen der Bequemlichkeit beworben haben – „Die Firma ist nur 5 Minuten von mir zu Hause entfernt, da dachte ich mir, das ist praktisch.“.Ist das der richtige Weg? Das hat mich letztlich auch zu meinem Artikel inspiriert, in dem ich über die andere Seite schreibe und aufzeigen möchte, dass schon die Wahl des Ausbildungsberufes wichtig ist und wohl überlegt sein möchte.
Hier der Link zu meinem Artikel: http://agantu.ch/starten-richtige-berufswahl/
Würde mich über einen zukünftigen Austausch sehr freuen.
Liebe Sandra,
im Idealfall wäre es wohl so, dass es der Bildung gelingt, bereits Jugendlichen den Sinn einer Arbeit oder den Nutzen, den eine Dienstleistung erbringt aufzuzeigen. Ein Schüler würde dann sagen: „Ich möchte diesen Beruf lernen und in dieser Firma arbeiten, weil ich stolz bin damit… diesen Nutzen (……….) zu stiften und diesen Menschen (…… ) zu helfen. „Selbsterhaltung durch Arterhaltung“ anders rum gesagt: „Wer das Wozu kennt, erträgt fast jedes Wie“. Ich bin davon überzeugt, dass nur jene Mittel und Massnahmen in der Berufs-, Studium- und Stellenwahl dauernd Erfolg, haben, welche diese Überlegungen ins Zentrum stellen. Dass nicht alle Menschen schon in der Jugend damit umgehen können ist leider logisch. Es gibt ja viele Menschen, die ein Leben lang „nur arbeiten um zu überleben“……….
Da ich gerade auf der Suche nach einer Lehrstelle bin, bekomme ich nun Angst wie ich das richtige Unternehmen auswählen kann. Es scheint fast so, dass Unternehmen im Auftreten ihrer Stellenangebote ähnlich sind und das ich daran schlecht erkennen kann, ob es sich um eine gute Ausbildungsstätte handelt oder nicht. Woran ich auch auf einer Lehrstellenbörse/Jobbörse erkennen kann, ob es sich um auch aus meiner Sicht um einen guten Ausbilder handelt, das wäre interessant.
Hallo Katrin Leo
So ist es – nicht ganz einfach. Ich empfehle Dir die Seite yousty.ch zu nutzen. Die Firma versucht, Dir die Lehrstellen mit Bildern des Unternehmens und des Arbeitsplatzes zu zeigen. Ausserdem siehst Du wer dein Chef sein wird (Ansprechpartner) und kannst diesem auch schon Fragen stellen (Mail). Ebenfalls siehst Du bei vielen Firmen auch die anderen Lernenden – also dein künftiges Team. Diese geben Interviews zum Beruf und zur Firma. Damit hast du schon einen viel besseren Eindruck und du kannst viele Firmen 1:1 vergleichen. Danach – und daran führt kein Weg drum rum – musst Du die Leute und den Ort kennen lernen. Sicher drei, bis vier Firmen wären gut. Dann bekommst Du ein besseres Gefühl für die richtige Wahl. Viel Erfolg! Urs
Hallo Urs,
Sehe ich genauso, besonders den Punkt bezügl. Engagement: „Man engagiert sich, man kennt sich aus. Die Menschen sind wichtig.“
Ein weiteres Vorzeigebeispiel, welches Christoph Küffer und ich für unser Buch „Inspired at Work“ (http://betterboss.ch/) zum Thema „Zweite Chance“ interviewt haben ist die Firma Schindler, welche dreihundert Lehrlinge in der Schweiz ausbildet, davon etwa fünf Prozent Jugendliche mit ungünstigen Bildungsvoraussetzungen.
In unserem Praxisbericht dazu sagte der Leiter Schindler Berufsbildung unter anderem über die Vorteile folgendes:
Interviewfrage: „Gibt es auch wirtschaftliche Vorteile eines solchen Engagements?“
„Ja, ganz bestimmt. Es ist aber nicht immer ganz einfach, die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialem Engagement zu finden. In den folgenden vier Bereichen erleben wir, dass sich unser Engagement auch wirtschaftlich auszahlt:
1. Wir können mit dieser Zielgruppe den Nachwuchs gewisser Berufe nachhaltig sichern. Vor allem bei handwerklichen Berufen wie Polymechanikern, Anlagen- und Apparatebauern, Logistikern oder Aufzugsmonteuren schätzen wir, wenn sie diesen Beruf über längere Zeit ausüben und unserem Unternehmen treu bleiben.
2. Oft werden wir bei Projektausschreibungen in der Schweiz gefragt, wie stark wir uns für Jugendliche engagieren. Offensichtlich beeinflusst soziales Engagement bei gewissen Firmen die Kaufentscheidung.
3. Unser Engagement wirkt sich positiv auf die Marke Schindler aus. Auf dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt hilft uns dies, gute Leute zu gewinnen.
4. Als Unternehmen wollen wir unseren Teil dazu beitragen, die anstehenden gesellschaftlichen Probleme sinnvoll zu lösen und die damit verbundenen Kosten zu tragen. Die Integration von jungen Menschen in das Berufsleben ist etwas vom Sinnvollsten, was man tun kann.“
Liebe Sunnie, vielen Dank für deinen Beitrag! Ich treffe immer wieder auch Berufsbildungsverantwortliche welche eine „Return on Investment Analyse“ so aufbauen, dass sie die Wertschöpfung aller Mitarbeiter, welche irgendwann eine Ausbildung in der Firma durchlaufen sind, messen. Das gibt fast immer sehr starke Argumente gegenüber dem Management. Bei Schindler bedauere ich, dass sie auf führenden Internetplattformen zum Thema Ausbildung untervertreten sind ;-)