Ein Lokführer, der 8 Stunden arbeitet, leistet vermutlich doppelt so viel wie einer, der 4 Stunden im Führerstand seiner Lok tätig ist. Das gleiche gilt für Piloten, Wachpersonal und viele andere Berufe, bei denen man die Leistung in Zeiteinheiten messen kann. Aber ein Journalist, der 8 Stunden schreibt, dessen Artikel wird nicht doppelt so gut wie der einer Kollegin, die 4 Stunden für ihren Artikel aufgewendet hat. Auch die Forscherin, die 8 Stunden nachdenkt, kommt nicht automatisch zu doppelt so guten Erkenntnissen wie ihr Kollege, der 4 Stunden geforscht hat.
Generell kann man sagen, dass die Arbeitszeiterfassung bei Wissensarbeitern keinen Sinn ergibt oder zumindest ungeeignet ist, die Leistung zu messen. Wenn wir aber die Sinnhaftigkeit der Arbeitszeiterfassung für Wissensarbeiter zu Recht in Frage stellen und die Einführung von Vertrauensarbeitszeit fördern, was ist dann mit unserem Verständnis von Pensen? Wenn wir Mitarbeitenden zutrauen, selber zu entscheiden, wie viel Zeit sie einsetzen, um vereinbarte Ziele zu erreichen, welchen Sinn ergibt es dann, von «Vollzeit»- oder «Teilzeit»-Stellen zu sprechen?
Allein das Wort «Teilzeit» hat ein diskriminierendes Element, denn der Teil von etwas ist immer weniger wertvoll als das Ganze. Wenn wir dann auch noch in Betracht ziehen, dass Teilzeit-Mitarbeitende beim Lohn in sehr vielen Fällen benachteiligt werden, wird es höchste Zeit darüber nachzudenken, ob wir nicht den Begriff der Teilzeit abschaffen sollten. Und den Begriff der Vollzeit auch, denn Vollzeit ergibt ohne Teilzeit keinen rechten Sinn.
Was wir brauchen, ist eine Diskussion darüber, worauf es bei einer Stelle ankommt, was erreicht werden soll und wie man die Zielerreichung fair messen kann. Das gilt auch für den Bereich der Führung. Wir müssen dann aufhören, von Führungskräften eine Mindestanwesenheit von 42 Stunden pro Woche zu fordern, und stattdessen auch in der Führung überlegen, woran wir die Leistung künftig messen und wie wir sie entsprechend entlohnen wollen. Wir kommen dann hoffentlich auch weg von der Verherrlichung der ständigen Präsenz und Erreichbarkeit und hin zu einer Überlegung, ob sich gute von weniger guten Führungskräften nicht durch ganz andere Kriterien unterscheiden als durch die Anzahl der Arbeitsstunden.
Das wird dann eine anspruchsvolle und interessante Diskussion.
Hallo Herr Mölleney,
ich sehe es genau so. Im Fokus sollte das Ziel stehen, welches in hoffentlich eindeutig definiert ist. Wie und und welcher Zeit dieses erreicht wird, ist doch sekundär. Hauptsache, es wird erreicht. In der Frankfurter Allgemeinen habe ich einen sehr passenden Artikel gefunden, der dieses Thema genau aufgreift. Die Firma Trumpf macht hier einen überaus innovativen Schritt, den es zu verbeiten gilt.
Hier der link: http://ln.is/z6YqX
Viele Grüße aus Hamburg
Tobias W. Goers
Guter Hinweis, vielen Dank!
Ich werde mal mit dieser innovativen Firma Kontakt aufnehmen.
Herzliche Grüsse aus Zürich
Matthias Mölleney
Ich habe leider als Angestellter auch zu viele Vorgesetzte und Chefs kennengelernt, die Überstunden der Mitarbeiter als „geil“ und es als Loyalität zum Unternehmen ansahen. Wir müssen in Arbeitsverträgen mehr Zielvereinbarungen einfließen lassen. Dazu muss eine Stundenzahl genau definiert werden. Von wie vielen Menschen habe ich schon gehört, dass sie am Arbeitsplatz vor Langeweile untergehen, weil sie ihre Arbeiten und darüber hinaus erledigt haben. Aber sie müssen die 9 Stunden am Tag voll bekommen.
Da ich derzeit auf Arbeitssuche bin, möchte ich natürlich meine Vorgesetzten auch gut kennen lernen. Dazu gehört für mich die Frage:
Zu welcher Art von Vorgesetzten gehören Sie? Finden Sie es gut, wenn der Angestellte Überstunden macht oder nicht?
Die Antworten sind teilweise bemerkenswert.
Eine spannender Artikel inkl. der Diskussion.
Ich bin auch der Meinung, dass die Arbeitsmodelle viel flexibler gestaltet werden müssen.
Vielen Dank für das Feedback. Ich habe das Gefühl, die Zeit ist reif für neuartige Modelle – was wir jetzt brauchen, sind ein paar gute Beispiele, von denen wir lernen können.
„Aber ein Journalist, der 8 Stunden schreibt, dessen Artikel wird nicht doppelt so gut wie der einer Kollegin, die 4 Stunden für ihren Artikel aufgewendet hat.“
Mag sein, denn gute Recherche – welche Zeit braucht – ist ja im heutigen Journalismus des Teufels. Allerdings kann der Schreiberling in 8 Stunden dann vielleicht 2 Artikel schreiben.
„Generell kann man sagen, dass die Arbeitszeiterfassung bei Wissensarbeitern keinen Sinn macht oder zumindest ungeeignet ist, die Leistung zu messen.“
Generell kann man vieles sagen, auch viel Sinnfreies. Die Arbeitszeiterfassung ist eine gesetzliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden. Auch Wissensarbeiter haben eine Gesundheit, deren Schutz wichtig ist. Dass es Unternehmen geben mag, welche die Arbeitszeiterfassung, wenn sie ja denn schon mal da ist, zur Leistungsmessung benutzen, kann ja sein, aber diese Unternehmen haben Sinn und Zweck der Übung auch nicht verstanden.
„Allein das Wort «Teilzeit» hat ein diskriminierendes Element, denn der Teil von etwas ist immer weniger wertvoll als das Ganze.“
Wir leben ja im Zeitalter der Diskriminierung: Alles und jeder wird diskriminiert. Mag damit zusammenhängern, dass „diskriminieren“ eigentlich „unterscheiden“ heisst und viele gelernt haben, genau hinzuschauen und so Unterschiede zu erkennen. Und, ja, es gibt Unterschiede zwischen Teil- und Vollzeit, zumindest einen: Teilzeitarbeit ist mit weniger Wochenstunden verbunden als Vollzeitarbeit. Was man dann aus diesem Unterschied macht, z.B. ob man Teilzeitarbeit Männern vorenthält, Teilzeitarbeitende bezüglich Entlöhnung schlechter, besser oder gar gleich behandelt, ist dann aber eine andere Frage und hat mit der Unternehmenskultur zu tun.
Ziele fair und sinnvoll zu setzen und die Zielerreichung dann fair und sinnvoll zu „messen“ und die gemessene Zielerreichung dann fair und sinnvoll zu entlöhnen – wow – das ist, nicht nur bei Wissensarbeitern, eine ziemlich schwierige Sache, meiner Ansicht nach sogar unmöglich, nur schon, weil der Vorgesetzte und sein Unterstellter gelegentlich unterschiedlicher Ansicht bezüglich Fairness und Sinnhaftigkeit sein mögen (es soll schon vorgekommen sein). Vielleicht ist es dann doch besser, die Präsenzzeit zu honorieren. Zumindest ist es einfacher. Und 8 Stunden sind bei jedem 8 Stunden – so ist es auch fairer. Damit die Arbeitnehmenden dann in diesen 8 Stunden (oder bei Teilzeitarbeit vielleicht auch nur 4 Stunden) das tun (können), wofür sie im Jahres-, Monats-, Tag- oder Stundenlohn bezahlt werden, dafür braucht es dann einen Vorgesetzten, der sie informiert, motiviert und wo nötig unterstützt.
Kein Problem, wenn Sie meine Meinung zum Thema Arbeitszeiterfassung nicht teilen, aber sie gleich als sinnfrei zu bezeichnen……
Sie haben Recht, Arbeitszeiterfassung kann helfen, Mitarbeitende vor einer Überlastung zu bewahren. Meine eigene, zugegeben subjektive Erfahrung aus meiner Beratungstätigkeit für viele verschiedene Firmen hat allerdings gezeigt, dass die Überlastung von Mitarbeitenden eher durch das Verhalten der Vorgesetzten verursacht wird als durch die Länge der Anwesenheit. Sehr gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, die Beförderungspolitik in Unternehmen zu verändern und darauf zu achten, dass nicht diejenigen bevorzugt befördert werden, die besonders lange anwesend sind, sondern diejenigen, die besonders befähigt sind, andere Mitarbeitende wirksam und motivierend zu führen.
Was den Ursprung des Wortes „diskriminieren“ angeht, haben Sie ebenfalls Recht; bis gegen Mitte des 20. Jahrhunderts gebrauchte man es im Sinne von „unterscheiden“, aber seit dem späten 20. Jahrhundert bedeutet es mit negativer Bewertung „jemanden herabsetzen, benachteiligen, zurücksetzen“ (Duden, Wikipedia) und in dieser Bedeutung habe ich es verwenden wollen.
Was Fairness bei der Entlohnung angeht, sind wir uns ebenfalls einig, dass das schwierig ist. Es geht um Gerechtigkeit und dieser philosophische Begriff ist deswegen so problematisch und zugleich faszinierend, weil man ihn auf 2 Arten definieren kann, die beide richtig sind, aber leider nicht übereinstimmen. Man kann sagen „Gerechtigkeit ist: jedem das Gleiche“ oder genauso richtig: „Gerechtigkeit ist: jedem das Seine“. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeitende es mehr schätzen, wenn sich ihre Vorgesetzten viel Mühe mit diesem Begriff geben und sich wirklich anstrengen, gute Ziele zu vereinbaren und die Zielerreichung fair zu messen, als wenn sie den einfacheren Weg der Entlohnung von Anwesenheit wählen. Aber möglicherweise haben Sie da andere Erfahrungen gemacht.
Danke für den wertvollen Denkanstoß. Die wertende Unterscheidung zwischen „Voll“ und „Teil“ sollten wir uns unbedingt abgewöhnen. Nur wie kann ein Angestelltenverhältnis ohne die Verbindung zwischen Lohn und Arbeitszeit (die natürlich nicht zwingend im Büro zu festen Zeiten verbracht werden muss) aussehen? Woran mache ich dann fest, wie hoch das Gehalt einer bestimmten Person sein sollte? An der Leistung, am Ergebnis, das klingt gut. Die ist aber immer tagesformabhägig, kann also nicht monatlich gleich hoch ausfallen. Wenn man das konsequent zu Ende denkt, können Wissensarbeiter nur als Selbständige arbeiten, die Aufträge annehmen und für ihre Erfüllung entlohnt werden. Aber wollen wir alle zukünftig Unternehmer sein?
Ein besonderes gutes Beispiel habe ich beim Belgischen Ministerium für Soziale Sicherheit gefunden. Dort gibt es keine Arbeitszeiten und entsprechend auch keine Erfassung – jeder kann arbeiten, wann, wie und wo er will. Vereinbart sind die zu erbringenden Leistungen in Quantität und Qualität – die Geschwindigkeit, mit der die Angestellten ihre Leistungen erbringen, spielt keine Rolle. Neben der Quantität (wurde die vereinbarte Leistung geliefert?) und der Qualität (hat sie den Anforderungen an Fehlerfreiheit entsprochen?) wird nur die Kundenzufriedenheit gemessen. Ergebnis nach 5 Jahren: +95% Mitarbeitendenzufriedenheit, +60% Kundenzufriedenheit, +30% Produktivität).
Zeit für die Arbeit festzulegen (8 Std.) mag vielleicht nicht so effizient sein. Allerdings habe ich dann (bei 8 Stunden Schlaf) auch noch 8 freie Stunden für mich, die ich als Freizeit gestalten kann und beispielsweise (ungestört) mit meiner Familie verbringen kann.
Wenn es „egal“ wird, wie lange ich an etwas arbeite, fällt diese Zeit weg, wird beschnitten oder von Arbeit durchdrungen. Die Frage sollte also nicht lauten, wie sinnvoll es ist, Arbeit in Zeit zu messen, sondern meine Freizeit in Zeit zu bemessen.
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Diese Meinung teile ich grundsätzlich, aber ich frage mich auch, ob es sinnvoll ist, immer alles in Zeit zu messen. Ich zum Beispiel erhole mich bei einer 3-stündigen Bergwanderung intensiver als in 3 Stunden vor dem Fernseher. Worauf es meiner Meinung nach ankommt, ist, die Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens übernehmen zu können – und dazu braucht der eine sehr viel Flexibilität und der andere klare Regeln und Rahmenbedingungen.
Ja! Feste Präsenzstunden sind für viele Aufgaben unnötig. Ein fester Arbeitsort auch. Nach Ergebnis und nicht nach Zeit zu arbeiten passt nicht für alle und passt auch nicht allen. Aber wer braucht schon 8 Stunden Aufsicht durch die Führungskraft? Alle die ergebnisorientiert arbeiten wollen und können, sollten so arbeiten dürfen, auch Führungskräfte.
Ja, stimmt. Was mir sehr gut gefällt, ist, dass seit einiger Zeit Arbeitgeber angefangen haben, sich nicht nur über ihre Marke oder ihre Produkte zu differenzieren, sondern auch über ihre Eigenschaft als Arbeitgeber. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es demnächst im Wettbewerb um die knapper werdenden Fachkräfte nicht nur um die klassischen Anstellungsbedingungen wie Lohn und Ferien geht, sondern auch um die Art, wie in den Unternehmen geführt wird, oder den Grad der Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort.
Zeitmessung ist tatsächlich passé, eigentlich war sie nie ein Gradmesser für effektive Qualität und Zielerreichung. Arbeitsstunden sollten sich nach vereinbarten, qualitativen und quantitativen Zielerreichungen richten. Wenn bei Führungskraft B abends um 21.00 Uhr noch das Licht brennt, gilt sie eben „auf die Schnelle gesehen“ als einsatzfreudig und motiviert.
Dann sollten wir uns allerding auch endlich vom Irrglauben lösen, dass nur relevant ist, was messbar und mit Facts und Figures belegbar ist. Sozialkompetenzen, Engagement, Förderungsarbeit mit Mitarbeitern und mehr sind wesentlich wertvollere Leistungsaspekte als viele Kennzahlen.
Es taugen letztlich weder Arbeitszeiterfassungen noch statische Kennzahlen so viel wie wir immer meinen. Denn: Das Wesentliche ist selten mess- und erfassbar. Eine Führungskraft, welche mit 10-Stunden-Arbeitstagen eine Produktivitätssteigerung von fünf Prozent erreicht, gilt als erfolgreich.
Doch der Erfolg gehört vielmehr jener, die Mitarbeiter mit Förderung, Respekt und Anerkennung zu begeisterten und zu engagieren vermag und damit zu Spitzenleistungen führt. Das geht auch mit fünf Arbeitsstunden täglich…
Vertrauen, Respekt und Wertschätzung sind die Schlüsselbegriffe im Ansatz „Beyond Leadership“, den wir an der HWZ gerade verfolgen. Ich glaube, die Zukunft gehört nicht mehr dem MbO, sondern flexiblen Zielen, und nicht mehr dem Kommandieren und Kontrollieren, sondern dem Eröffnen von Freiräumen, basierend auf den genannten 3 Schlüsselbegriffen.
To the point! Genau das ist das Problem … und dazu braucht es einen generellen Mentalitätenwechsel in vielen Führungsfunktionen!
Wir haben in den letzten 3 Jahren im Rahmen unseres Forschungsprojekts „Leadership 3.0“ an der HWZ Beispiele gesucht für solche erfolgreichen Mentalitätenwechsel – und wir haben welche gefunden: von einer brasilianischen Firma mit mehreren tausend Angestellten über das Belgische Ministerium für soziale Sicherheit bis hin zu einem Schweizer KMU. Es gibt Hoffnung….