Karriere: Spagat zwischen Berufung und Belastung

Armin Ziesemer KarriereKarriere machen. Das klingt nach Aufstieg, Perspektiven, Selbstverwirklichung. Doch wer sich auf den Weg macht, erlebt oft auch noch eine andere Seite: permanente Erreichbarkeit, familiäre oder ehrenamtliche Verpflichtungen, Weiterbildungen und ständiger Kompetenzwandel stehen in Konkurrenz – kurzum: Mehrfachbelastungen werden zum Dauerbegleiter.

Als IPF-Coach bei der KV Business School ermutige ich Studierende, ihre persönliche Betroffenheit mit ihrem Berufsfeld und eigenen Zukunftsperspektiven zu verbinden. So freut es mich besonders, wenn Kooperationsprojekte für künftige Führungskräfte wie zwischen Suissetec, der KV Business School Zürich und ihren Studierenden entstehen, die einen hohen Praxistransfer schaffen.

Ein gutes Beispiel dafür liefert die Gebäudetechnik. Die Branche boomt, nicht zuletzt auch durch Klimaziele und Energiewende. Laut Christian Brogli, Leiter Marketing und Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung von Suissetec, dem Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband, ist die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften sehr gross. Hier bieten sich vielfältige Karriereoptionen an – von der Lehre bis hin zu Führungspositionen oder einer Selbstständigkeit. Doch diese Möglichkeiten sind nicht automatisch Entlastung. Sie sind auch mit Mehrfachbelastungen verbunden.

Zwischen Sinn und Systemdruck

Suissetec intensiviert die Massnahmen zur Image-Stärkung und will die Attraktivität für Karrieren in der Branche nachhaltig sichern – insbesondere für Lernende und Young Professionals. Naomi Bernard, Studentin an der KV Business School Zürich, hat sich für ihren integrierten Praxisfokus (IPF) entschieden, dem Thema Mehrfachbelastungen in der Gebäudetechnik nachzugehen. Denn nach ihrem bald dreijährigem HF-Studium weiss die junge Frau aus aktueller Erfahrung: Studium, Karriere und Privatleben gut zu verbinden braucht Energie – und geeignete Strategien.

Besonders in kleineren und mittelgrossen Betrieben, welche die Branche prägen, fehlen oft die Kapazität und Kompetenzen, solche Belastungen strukturell abzufedern. Zwar nimmt laut Suissetec die Offenheit gegenüber Teilzeitmodellen und Weiterentwicklung zu – doch bleibt der Alltag häufig von knappen Personalressourcen und hoher Arbeitsdichte geprägt. «Deshalb war es mir wichtig, mit meiner Studienarbeit das Thema nicht nur theoretisch zu behandeln, sondern einen sinnstiftenden Praxisnutzen zu schaffen», sagt Naomi.

Die unsichtbare Leistung hinter der Karriere

Mehrfachbelastungen bleiben im Karrierediskurs häufig unsichtbar. In Naomis IPF-Projekt wurde dies deutlich: Die Reflexion über Arbeits- und Lebenskontexte zeigt, wie stark persönliche, familiäre und institutionelle Faktoren ineinandergreifen. «Karriere ist die Kunst, Ziele, Erwartungen und Bedürfnisse achtsam auszubalancieren», sagt Christoph Schaer, Direktor von Suissetec. Die Entscheidung für Weiterbildungen ist auch in diesem Kontext zu sehen.
Denn wer sich engagiert, möchte «ja» sagen. Wer Verantwortung übernimmt, will nicht enttäuschen. Wer sich weiterbildet, darf nicht ausfallen. Das kann zu einem unsichtbaren Overload führen, der individuell gelöst werden muss – obwohl er oft strukturell bedingt ist.

Wie Organisationen reagieren können – und müssen

Die Gebäudetechnikbranche reagiert zunehmend mit Retention-Massnahmen – also gezielter Mitarbeiterbindung. Das ist klug und notwendig. Denn der Fachkräftemangel wird nicht durch Rekrutierung allein gelöst. Es braucht stabile, motivierte, gesunde Teams. Und dafür müssen Belastungen ernst genommen werden.

Betriebe, die gezielt auf flexible Modelle, transparente Weiterbildungspfade und psychologische Sicherheit setzen, schaffen ein Umfeld, in dem nicht nur Karrieren wachsen, sondern Menschen sich gut entwickeln können. «Dafür setzen wir zunehmend auf Mentoringprogramme, die unsere Mitgliedsbetriebe, etwa in der Begleitung der Lernenden gezielt unterstützen», sagt Daniel Stamm, Leiter Bildung bei Suissetec.

Programme wie der «Bildungscoach» von Suissetec zeigen, wie das gelingen kann: Sie stärken Ausbildungsbetriebe, verbessern die Betreuung der Lernenden, steigern die Erfolgsquote bei Qualifikationsverfahren und senken damit langfristig die Fluktuation. Das entlastet nicht nur die Betriebe, sondern auch diejenigen, die im System Verantwortung übernehmen wollen.

Karriere neu denken – als kollektive Verantwortung

Wer Karriere machen will, sollte nicht nur an die nächste Stufe denken – sondern auch an seine Resilienz, Unterstützungsstrukturen und kollektive Lernprozesse. «Es reicht nicht, ‘Vereinbarkeit’ als Schlagwort zu führen – sie muss auch gelebt werden», sagt Naomi. Dafür erarbeitet sie gemeinsam mit Suissetec einen Leitfaden im Umgang mit Mehrfachbelastungen.

Was wir brauchen, ist ein Perspektivenwechsel: Karriere darf nicht mehr länger als Dauerleistung gegen Widerstände und als Mehrfachbelastungen verstanden werden, sondern als kooperativer Pfad mit Raum für Entwicklung, Umwege, Rückschritte – und Entlastung. Denn nur so kann aus einem hohen Anspruch auch ein tragfähiger und gesundheitsförderlicher Karriereweg werden. Das haben Naomis Studien deutlich gezeigt.

Bleibt zu hoffen, dass zunehmend auch andere Branchenverbände dem Beispiel von Suissetec folgen und ihren Fokus hin zu Unterstützung ihrer Mitglieder bei Mehrfachbelastungen ausrichten.

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