«Ich finde, du bist nicht für die Führung geeignet»

Der Psychologe Thomas Gordon hatte eine gute Grundidee, als er die ICH-Sätze ins Leben rief. Seine Absicht war, dass Menschen einander besser zuhören und dann klar mitteilen, wie sie sich fühlen und was sie gehört haben. Jeder kennt dieses Prinzip, doch nicht immer wird es passend umgesetzt.

Mit «Ich-Sätzen» drücken Menschen persönliche Gedanken, Gefühle, Meinungen oder Erfahrungen aus, ohne die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Beispiele dafür sind:

«Ich fühle mich frustriert, wenn Termine nicht eingehalten werden.»
«Ich denke, dass die Präsentation verbessert werden könnte.»
«Ich möchte gerne mehr über das Projekt erfahren.»

Die Verwendung von Ich-Sätzen in der Kommunikation hilft, klar auszudrücken, wie man eine Situation wahrnimmt oder darauf reagiert, statt vage oder allgemeine Aussagen zu machen. So können Missverständnisse vermieden und die Verantwortung für eigene Gedanken und Gefühle übernommen werden.

Was aus diesem genialen Gedankengut entstand, ist erstaunlich: Nur weil ein Satz mit dem Wort «Ich» beginnt oder es enthält, ist er nicht automatisch eine ICH-Botschaft nach dem Gordon-Modell. Das kann wie folgt aussehen:

«Ich finde, du führst deine Mitarbeitenden schlecht.»
«Ich denke, du solltest schneller arbeiten.»
«Ich meine, du hättest mehr Erfolg, wenn du…»

Diese Sätze fangen zwar mit «Ich» an, enthalten jedoch ganz klar DU-Botschaften.
In Arbeitsumgebungen erwarten wir meist Akzeptanz, Wertschätzung und Zugehörigkeit. Fehlen sie, können Konflikte gedeihen. Zudem spielt die soziale Akzeptanz eine wichtige Rolle im Leben von Menschen, da sie Beziehungen, Identität und das emotionale Wohlbefinden beeinflusst. Es ist ein essenzieller Aspekt in der menschlichen Interaktion und im Streben nach einem erfüllten sozialen Leben.

Bewertungssysteme, wohin wir blicken

Werfen wir erneut einen Blick auf das Gordon-Modell: Es zeigt unterschiedliche Bewertungssysteme. Als gestandene HR-Fachperson beurteilen Sie die Führungsfähigkeiten eines Vorgesetzten, nennen wir ihn «Muster», als mangelhaft und gefühlslos. Das wird durch das letzte Austrittsgespräch mit einem Mitarbeitenden untermauert.

Der Vorgesetzte «Muster» könnte seine Art der Führung als authentisch und klar betrachten. Zwei verschiedenen Ansichten prallen aufeinander. Das betonte auch schon Vera F. Birkenbihl: Sie sagte gerne, dass wir alle auf verschiedenen Inseln leben und Dinge aus einer eigenen Perspektive betrachten.

Als Personalverantwortliche betrachten Sie die Führung von Herrn «Muster», dieser betrachtet sie auch, und jeder sieht ein anderes Bild. Und dann passiert, was passieren muss: Wir bewerten die Situation unterschiedlich und reden aneinander vorbei.

Werden Sie manchmal getriggert?

Dazu kommt noch Folgendes: Das aktuelle Verhalten von Herrn «Muster» könnte Sie bewusst oder unbewusst an eine alte Verletzung erinnern. Sie werden getriggert und reagieren.

Deshalb kann ein wertschätzender, konstruktiver Dialog nicht mit einer halbherzigen ICH-Botschaft erreicht werden. Es ist wichtiger, sich selbst zu beobachten und sich eher zu fragen: «Warum hat Herr «Muster» wohl so reagiert? Und warum hat er das zu seinen Mitarbeitenden gesagt?»

Tipp: Versuchen Sie, das Verhalten des anderen zu verstehen. Etwas zu verstehen bedeutet noch lange nicht, es gutzuheissen. Lösen Sie sich von diesem Gedanken. Vor der wertschätzenden ICH-Botschaft steht also eine Menge Nachdenken und Empathie. Hören Sie auf, Argumente sorgfältig zu sammeln und sie bei passender Gelegenheit zu äussern. Überlegen Sie gut, wie Sie Ihrem Gegenüber Ihre Wünsche klar kommunizieren können. Greifen Sie nicht Herrn «Muster» an, sondern betrachten Sie ihn neutral. Sagen Sie eher, was Sie sehen, hören, fühlen, und äussern Sie zum Schluss eine Bitte.

Mein Fazit: Die ICH-Satz-Theorie ist gut. Wichtig ist jedoch, dass wir dabei unsere liebevolle, aufmerksame und neugierige Haltung bewahren. So bewirken wir in der Kommunikation viel mehr, und der schale Beigeschmack geht verloren.

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