Sie sind auf Stellensuche? Mein Beileid! Die sieben Tipps sind zwar ironisch gemeint, können Ihnen aber trotzdem dabei helfen, diese belastende Zeit möglichst unbeschadet und mit Humor zu überleben.
Wer heutzutage freiwillig auf Stellensuche geht, muss hierfür wirklich triftige Gründe haben. Denn man benötigt eine sehr dicke Haut, um die oft rücksichtslosen, selbstzentrierten Gepflogenheiten des Arbeitsmarkts aushalten zu können.
Vielen Arbeitgebern fehlt der minimale Anstand
Kandidaten vermissen im Bewerbungsprozess oft sogar den minimalsten Anstand der Personalagenturen und Wunschfirmen, die sich wohlklingende Werte wie Verantwortung, Respekt und Fairness in ihre öffentlichen Verhaltens- und Ethikkodexe geschrieben haben. Unsere Kandidatinnen und Kandidaten berichten uns so regelmässig von teils haarsträubenden Erfahrungen, dass leider nicht mehr nur von vereinzelten «schwarzen Schafen» auf Arbeitgeberseite ausgegangen werden muss.
Davon sind auch stellensuchende Linien- oder HR-Verantwortliche betroffen, die nun das Bewerbungsverfahren aus der anderen Perspektive erleben und die Unannehmlichkeiten erstmals am eigenen Leibe erfahren. Ihr Rollenwechsel vom Entscheidungsträger zum Stellensuchenden bringt nicht selten einen «Aha-Effekt» mit sich.
Werte? PR!
Selbstverständlich gibt es trotz eines bedauerlichen Wertezerfalls auf dem Stellenmarkt durchaus löbliche Ausnahmen in der Unternehmenswelt. Dabei handelt es sich um Firmen, die sich ihrer Aussenwahrnehmung bewusst sind und die den Kandidaten ein hohes Mass Professionalität bieten.
Im vorherrschenden Arbeitgebermarkt sitzen die Firmen jedoch meist auf dem hohen Thron und verwechseln Stellensuchende zu oft mit Bittstellern – mit Ausnahme von Branchen mit drastischem Fachkräftemangel. Die Arbeitgeber sind weitgehend in der komfortablen Lage, dass sie über ein ausreichendes Kandidatenreservoir verfügen und sich deshalb im Umgang mit Bewerbern kein Bein ausreissen müssen. Dass auf Unternehmenswebsites fast unisono hehre Firmenleitwerte propagiert werden, ist sekundär. Die Werte sind oft nur PR.
Wenig Anstand auch auf Bewerberseite
Wir haben in unserer Beratungstätigkeit den Eindruck gewonnen, das despektierliche Verhalten der Firmen habe auf die Stellensuchenden abgefärbt. Unter dem Motto «Wie Du mir, so ich Dir» beweisen auch Stellenbewerber oft, dass sie sich dem «Wilden Westen» des heutigen Arbeitsmarkts längst angepasst und sich die wichtigsten Überlebenstechniken in kurzer Zeit zu eigen gemacht haben.
Die Wildwüchse opportunistischen Verhaltens gehen so weit, dass sich Kandidaten wohl auf eine Position bewerben, aber trotz mehrfacher Kontaktversuche nicht erreichbar sind. Ebenso ärgerlich sind Finalisten in der Stellenbesetzung, die wohl Transparenz bezüglich anderer Bewerbungen vorgeben, aber kurz vor dem Ziel mit einem überraschenden anderen Stellenangebot auftrumpfen. Nicht unüblich ist es in der heutigen Zeit des steten Optimierens, einen Vertrag zu unterschreiben und einige Wochen später ein anderes Angebot anzunehmen. Die Untugend des Nichtantwortens wird von allen Marktteilnehmern gleichermassen gelebt und in der gegenseitigen Kommunikation praktiziert.
Es gilt das Recht des Stärkeren
Der heutige Stellenmarkt ist ein hartes Pflaster und gleicht einer freien Wildbahn, in der das Recht des Stärkeren gilt. Eigentlich sollten deshalb alle – Linien- und HR-Verantwortliche wie auch Kandidaten – mindestens einmal dazu gezwungen werden, die jeweilige Seite zu wechseln, um die Auswirkungen ihres Tuns- oder Nichtstuns auf die Gegenseite zu erleben.
Mehr Respekt im Sinne von Menschlichkeit wäre wünschenswert. Eine gelegentliche selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Praktiken und Verhaltensweisen ebenso – eine hohe Arbeitsbelastung auf Firmenseite und der Druck des heutigen Stellenmarkts genügen als Ausrede nicht.
Auf Stellensuche? 7 Tipps
Falls Sie sich selber auf Stellensuche befinden, mögen Ihnen einige zwar ironisch gemeinte, aber elementare Faustregeln dabei helfen, diese belastende Zeit möglichst unbeschadet und mit Humor zu überleben:
- Bitte messen Sie der Tatsache keine weitere Bedeutung zu, dass Sie wohl Ihre gesamten Personalien und Beweggründe auf einem Online-Bewerbungsportal offenlegen, Sie aber keine namentliche Ansprechperson hinter dem anonymen System kennen. Dies hat seine guten Gründe und dient dazu, Firmen vor aufsässigen Bewerbern zu schützen.
- Es sollte Ihnen nichts ausmachen, wenn Sie auf Ihre Bewerbung wochen- oder gar monatelang nichts mehr hören, abgesehen von einer automatisch generierten Eingangsbestätigung. Mit derselben Grosszügigkeit begegnen Sie bitte auch ausgedehntem Stillschweigen nach einem persönlichen Bewerbungsgespräch.
- Eine sportliche Einstellung hilft, wenn Sie dann nach geraumer Zeit der Funkstille endlich eine Tempo-Teufel-Spontaneinladung zum Interview erhalten. Falls es sich um ein persönliches Interview handelt, umso besser. Falls man Sie hingegen zur Teilnahme zu einem vorgefertigten Videointerview auffordert, werden Sie auch damit einen spielerischen Umgang finden.
- Nehmen Sie nicht alles wörtlich: Im Falle von «Sie hören am nächsten Freitag von uns», heisst «Freitag» nicht immer Freitag, sondern ist vielmehr ein dehnbarer Begriff und lediglich ein ungefährer Anhaltspunkt.
- Stehen Sie über der Sache, wenn man Sie mit einer fadenscheinigen Information zum Stand der Bewerbung vertrösten will, Sie aber die vorgegebenen Ausreden schon längst als plumpe Schwindelei entlarvt haben.
- Wenn die ausgeschriebene Stelle plötzlich im Pensum erhöht, reduziert, umgeändert oder in fortgeschrittenem Stadium Ihrer Bewerbung gestrichen oder durch einen «aus dem Himmel gefallenen» internen Kandidaten ersetzt wird, hat das mit Ihrer Kandidatur in der Regel nichts zu tun.
- Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn nach diversen Interviews, Assessments, Case-Studies und Tests als Absagegrund etwas genannt wird, was von allem Anfang an Ihren Bewerbungsunterhalten zu entnehmen war: fehlende Sprachkenntnisse, ausbleibende Ausbildungen, unzureichende Erfahrung oder dergleichen.
Viel Glück!
In der Tat eine Verrohung der Sitten – wiederum ein sehr gut geschriebener Artikel. Mein Kompliment. Die Verrohung der Sitten ist auch ein gesellschaftliches Phänomen an sich. Ganz nach dem Motto „wenn es mir nützt, dann ist es gut – who cares about others“
Vielleicht zeigt es letztlich auch die charakterliche Schwäche vieler Akteure in diesem Spiel – die „trumpschen Opportunisten“ scheinen die am schnellsten wachsende Gemeinde zu sein im Moment.
Danke für den Spiegel!
Super Beitrag, auch ein Grund der immer zunehmenden Digitalisierung. Es sind Systeme (Algorithmen) die die ersten wichtigen Entscheidungen treffen. Nicht alles persönlich nehmen, willkommen in der globalisierten, systemtechnisch sprechenden Welt.
Danke für Ihren Kommentar! Wir Menschen tun uns offenbar halt etwas schwer beim Übergang vom Mensch zum Roboter – v.a. bei den teils gewöhnungsbedürftigen – besser problematischen – Schnittstellen! Alles Gute auf Ihrem persönlichen Weg der Transformation.
Super geschrieben!
Danke für das Kompliment, Sabine Biland-Weckherlin
Die Problematik liegt für mich auf einer weiteren Ebene, nämlich, dass Arbeitgeber immer noch der Meinung sind, dass es einen Arbeitgebermarkt gibt und er quasi die „Verhaltens- und Rahmenbedingungen“ diktiert und Kandidaten frei „selektionieren“ kann – was de facto meine Erfahrungen als Personalberater in vielen Fällen nicht bestätigen können. Bei momentaner Arbeitslosigkeit von 2,9% in der Schweiz (für mich quasi eine Vollbeschäftigung) ist das eine ganz gefährlicher Herangehensweise. Nicht jeder ist wie Tesla, Google & Co. und kann von seinem Employer Brand „leben“ (wobei ich aus eigener Erfahrung weiss, dass auch diese Unternehmungen Schwierigkeiten haben an Fachkräfte/Spezialisten zu kommen). Deshalb Mut im Umgang mit Kandidaten (denn man kann letzten Endes sowieso nur eine Person „glücklich“ machen) und Werte der Unternehmung effektiv leben. Dann verringert sich auch die Retention-Rate.
Danke, Herr Bodenmiller – ja, ein ernstgemeintes und gelebtes Umdenken ist dringend angesagt. Eigen- und Fremdwahrnehmung sind nicht immer deckungsgleich und werden den betroffenen Firmen schlussendlich zum Nachteil gereichen. Ihre Aufforderung zu Mut gefällt mir besonders gut – auch Zivilcourage, Rückgrat wären da zu nennen! Beste Grüsse, Sabine Biland-Weckherlin
Liebe Sabine Weckherlin,
Danke Dir für die 7 nicht ganz ernst gemeinten Tipps, die sicher einen etwas entspannteren Umgang ermöglichen: Allerdings frage ich mich bei drei Deiner Tipps immer wieder, welches Bild potenzielle Arbeitgeber von sich abgeben:
– Wer zusagt, sich bis Freitag zu melden und das ohne Rückmeldung nicht einhält, der gibt ein klares Statement zur Termintreue und Zuverlässigkeit des Unternehmens. Sicher gibt es immer unvorhersehbare Gründe. Im Job erwartet das Unternehmen aber auch von mir, dass ich bei einem veränderten Terminplan eine Rückmeldung gebe.
– Wer fadenscheinige Begründungen zum Stand der Bewerbung abgibt, der zeigt, dass er mit noch unklaren oder negativen News nicht reif umgeht.
– Wer als Absagegrund Themen anführt, die bereits zu Beginn des Prozesses klar waren, der signalisiert (falls er es nicht begründet) seine Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht zu haben.
Möchte ich als Kandidat bei einem solchen Unternehmen arbeiten?
Mein Impuls an die Unternehmen: Mut zu Wahrheit und Transparenz!
– Melden Sie sich, wenn Sie Termine nicht einhalten können – das kommt immer wieder vor!
– Wenn Sie keine klare Begründung geben können, dann äussern Sie das ruhig!
Diese Professionalität zahlt sich auch für Sie aus.
Lieber Holger
Herzlichen Dank für Deine ergänzenden Kommentare. Wie recht Du doch hast! Umso mehr nach der Lektüre „Bald sitzen die Angestellten am längeren Hebel“ in der NZZ am Sonntag vom 15. April 2018. Da fragt man sich schon, in welchen Realitäten gewisse Entscheidungsträger heute noch leben!
Liebe Grüsse, Sabine