
Wir müssen über Empathie reden… Manche sehen in ihr ein wichtiges Leadership-Instrument, andere den Untergang der «westlichen Zivilisation». So unterschiedlich diese Ansätze auch klingen mögen, ganz so verschieden sind sie gar nicht. Was Unternehmen über Empathie wissen müssen – und worüber sie sich dringend Gedanken machen sollten.
Die Feiertage stehen vor der Tür und geben dem Jahresende die Klinke in die Hand. Eine Zeit der Besinnlichkeit, aber auch des Mitgefühls. Die Hälfte aller Spenden in einem Jahr kommt im November und Dezember zusammen, fast, als ob es nur dann Bedürftigkeit gäbe. Das soll keine zynische Miesepeterei sein, aber bemerkenswert ist es dennoch. Der aus der Verhaltensökonomik stammende «Warm-Glow-Effekt» (und Steuerabzüge) motiviert nämlich besonders zur Weihnachtszeit, heisst es bei SRF.
Mitgefühl und Empathie – Begriffe, die gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit hart umkämpft sind. Vor ein paar Jahren sagte mir etwa ein Pfarrer, den ich für ein Porträt interviewt hatte, er spüre, dass die soziale Kälte zugenommen habe. Wiederum befand Tech-Milliardär Elon Musk Anfang 2025, «die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation» sei Empathie. Wir hätten es dabei gar mit «zivilisatorisch suizidaler Empathie» zu tun.
Ob als Post auf LinkedIn oder Artikelvorschlag auf meinem Tisch: Empathie ist auch in der Business-Welt allgegenwärtig. Doch da klingt es wieder anders. So begegnete mir etwa ein Post, in dem ein «Founder» meinte, Wertschätzung sei im Business-Alltag wichtig, denn fühlten sich Mitarbeitende wertgeschätzt, würden sie mehr tun, als man von ihnen verlangt. Und in einem Pitch las ich davon, Empathie sei für die Führungsetage besonders wichtig, denn ein empathischer Führungsstil gehe mit höherer Performance und Profitsteigerungen einher.
Die Äusserungen von Musk und Pitches dieser Couleur sind dabei gar nicht so verschieden, wie man auf den ersten Blick meinen möchte: Beide erachten Empathie als ein Instrument. Musk glaubt, Empathie werde missbraucht, um Menschen mittels Schuldgefühlen zu erpressen (fragen Sie nicht). Die andere Seite hingegen hält sie für ein Tool zur Erreichung von Unternehmenszielen.
Grenzen der Empathie
Doch zunächst: Empathie ist zuvorderst schlicht die Fähigkeit, sich in andere hineinzufühlen. Was das allerdings genau heisst – und auch was das für unsere Handlungen bedeutet – , ist Gegenstand langanhaltender Debatten in verschiedenen Forschungszweigen.
Die Evidenz zeigt zwar, dass Empathie zu prosozialen Handlungen führen kann, ob das tatsächlich geschieht, ist aber keineswegs garantiert. Der amerikanische Sozialpsychologe Charles Daniel Batson, Begründer der Empathie-Altruismus-Hypothese (und damit einer der optimistischeren Forschenden auf diesem Gebiet – die Pessimisten lassen wir hier mal weg) wusste: Selbst bevor wir aus Empathie selbstlos handeln, schaltet sich eine Kosten-Nutzen-Analyse dazwischen. Heisst: Ob wir nicht nur empathisch sind, sondern auch danach handeln, ist auch von vielen anderen Faktoren abhängig.
In den Arbeitskontext übersetzt: Eine HR-Fachperson mag zwar in einem Kündigungsgespräch aufrichtig mitfühlen, entscheidet sich aber trotzdem dagegen, die Entlassung in Frage zu stellen, weil sie ihre eigene Position im Unternehmen nicht riskieren kann oder will.
Erwiesen ist auch, dass Empathie nicht vor unseren eigenen Biases gefeit ist. Wir sind empathischer mit Menschen, die uns ähnlich sind – und deutlich weniger, mit jenen, die wir als «anders» wahrnehmen, etwa Menschen, die Sozialhilfe beziehen, eine andere Hautfarbe haben oder psychisch erkrankt sind. Empathie folgt somit oft bestehenden Machtverhältnissen.
Ob Empathie also ein Allheilmittel für die Probleme der (Arbeits-)Welt ist, wie es manche Social-Media-Bonmots oder Politiker suggerieren, oder ob sie uns ins Verderben stürzen wird, wie Menschen vom Schlage Elon Musks glauben, darf also mindestens in Zweifel gestellt werden.
Ich bin skeptisch, wenn schwer zu greifende Konzepte zu Alltagsratschlägen oder -klagen umformuliert werden. Etwa, wenn rhetorisiert wird, es brauche doch (wofür auch immer) nur «gesunden Menschenverstand» – ich habe noch nie eine schlüssige Antwort darauf erhalten, was das genau bedeuten soll. Gut, vielleicht braucht es ja gesunden Menschenverstand, um das zu verstehen. Dann habe ich wohl Pech gehabt.
Muss sich Empathie rechnen?
Vielleicht haben Sie es schon gemerkt: Die Empfehlung, Führungskräfte sollten empathisch sein, weil das die Performance steigert und bei der Zielerreichung hilft, klingt in meinen Ohren zynisch. «Wirklich?», dachte ich neulich beim Lesen eines solchen Artikelvorschlags, «das ist der Grund, weshalb Leadership empathisch sein soll?». Mein zweiter Gedanke: «Erschreckend – aber immerhin ehrlich».
Ein Einwand an dieser Stelle lautet, man müsse mit Führungspersonen in einer Sprache sprechen, die sie auch verstehen: Zahlen. Natürlich ist es im Alltag wohl pragmatisch, Dinge in Kennzahlen zu übersetzen, schliesslich will der CEO keine Ethik- und Politik-Vorlesung, weder von Robin Adrien Schwarz noch von Ihnen.
Trotzdem: Wenn Führungspersonen grundlegende menschliche Anständigkeit und eine einfache moralische Position nicht verstehen – oder sie nur gelten lassen, wenn sie sich rechnen – stellt das nicht grundlegend unser Führungsverständnis (und so manche Businesspläne) in Frage? Und noch etwas: Angenommen, empathische Führung würde sich nicht positiv im Jahresendergebnis zeigen – befände man sie dann für unnötig?
An dieser Stelle kurz und kommentarlos: Immanuel Kant, oft als grösster Philosoph der Neuzeit bezeichnet, sagte, man solle Menschen «jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel» brauchen.
Empathie-Champion Mark Zuckerberg

Adam Smith, der «Vater des Kapitalismus». (Bild: Wikimedia)
Meine Zweifel gegenüber Empathie als Leadership-Tool setzt aber an einem anderen Punkt an. Ich bin skeptisch, wenn moralisch und emotional aufgeladene Begriffe wie «Empathie» für Wirtschaftszwecke instrumentalisiert werden.
Dabei hat das im Liberalismus sogar Tradition: Adam Smith, oft als «Vater des Kapitalismus» gefeiert und gescholten, sah in der Empathie (er nannte sie «sympathy») das moralische Fundament einer funktionierenden Gesellschaft. Daraus speist sich bis heute die Hoffnung, dass es «der Markt schon regeln wird». Übersetzt: Gingen wir alle genug aufeinander ein, käme dabei auch für alle etwas Gutes heraus.
Entsprechend behauptet ein Autor des Wirtschaftsmagazins «Forbes» gar, Empathie sei heute die treibende Kraft unserer Wirtschaft. Sein Beleg dafür (kein Witz!) sind zwei Unternehmer, deren Empathie es ihnen ermöglicht hätte, zu erkennen, was der Markt (und damit die Menschen) wirklich wollen: Steve Jobs und Mark Zuckerberg.
Womöglich fragen Sie sich an dieser Stelle: «Warum schwafelt Schwarz hier vom Liberalismus des 18. Jahrhunderts? Was hat das mit mir und HR zu tun?» Kein Problem, ich sag’s Ihnen: Ideologie.
Wie man auf Englisch sagt: «Bear with me».
Ideologie und die Empathie-Fassade
Um an dieser Stelle mögliche Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Selbstverständlich ist es erstrebenswert, dass Führungspersonen – ob im HR oder nicht – die Gefühle anderer Menschen in Betracht ziehen sollten. Nicht wenige Chefs hingegen glauben, Gefühle hätten im Business nichts verloren. Business ist Business, alles andere ist Ideologie, so die Parole.
Der vielleicht prominenteste lebende Philosoph und Ideologiekritiker Slavoj Žižek sieht in solchen Urteilen einen kapitalen Fehler: Gerade wer glaubt, keinesfalls ideologisch zu sein, sitzt selbst am tiefsten im ideologischen Sumpf.
Slavoj Žižek im Gespräch mit Barbara Bleisch bei «Sternstunde Philosophie».
Ideologie funktioniere heute nicht mehr wie früher, so der Philosoph. Früher verstand man unter Ideologie schöne Worte, von denen sich Menschen zu Unrecht blenden lassen, ganz gemäss dem Spruch: «Denn sie wissen nicht, was sie tun». Die Brücke zur heutigen Lage lehnt Žižek an einen Satz des deutschen Beststeller-Philosophen Sloterdijk an: «Sie wissen, was sie tun und sie tun es trotzdem». Viele Führungspersonen wissen heute ziemlich genau, dass so manche Dinge – etwa geschönte Leitbilder, die den Menschen zentrieren – als Fassaden dienen.
Žižeks Pointe ist hier aber: Ideologie besteht darin, trotzdem so zu handeln, als ob sie das nicht wären. Sie zeigt sich in Praktiken und Ritualen, die diese Geschichte mit all ihren Konsequenzen immer wieder «wahr werden lassen». Nicht nur das, mit diesen Handlungen vergewissern wir uns bisweilen selbst, dass die Fassade deswegen doch keine sein könnte. Denn was, wenn die Fassade zusammenbricht? Was dann?
Rituale und Theater
Im Unternehmenskontext bedeutet Empathie selten «Zuhören und empathisch handeln». Einerseits, weil man als empathisches Individuum, das entsprechend handeln möchte, schnell an Kompetenzgrenzen gelangt. Andererseits, weil sie genauso schnell zu Programmen mit Kennzahlen werden – quasi institutionalisierte Empathie.
Das sieht meist ganz unspektakulär aus. Etwa als vollmundige Ankündigung im Intranet oder auf einer Powerpoint-Folie, im neuen Jahr sei «Mental Health» oder «Wellbeing» ganz oben auf der Agenda. Umgesetzt wird das dann mit Resilienzworkshops für Mitarbeitende, während Führungskräfte separat in Empathie-Seminare geschickt werden. Und HR-Generalisten kriegen einen Kurs, wie man schwierige Kündigungsgespräche empathisch führt.
Starbucks etwa gibt sich als Vorreiter der gelebten Empathie: Da gibt es interne «Mental Health Champions», zum Teil kostenlose Therapieangebote und eine Meditations-App gehören zu den Benefits für Mitarbeitende. Das ist vielleicht sogar gut gemeint (die Hamburger Band Kettcar sang einst: «Das Gegenteil von gut ist gut gemeint»), dennoch berichten Mitarbeitende von chronischer Überlastung und in den USA streikten zuletzt tausende Baristas wegen unfairer Arbeitsbedingungen und anti-gewerkschaftlicher Praktiken des Konzerns.
Die naheliegende Frage: Warum braucht es überhaupt kostenlose Therapieangebote?
Die nüchterne Antwort: Weil Empathie bei manchen Konzernen weniger eine Haltung ist, die sich in die Praxis übersetzt, als vielmehr ein Ritual, das dazu dient, die Fantasie aufrechtzuerhalten, man habe es hier tatsächlich mit einem empathischen Arbeitgeber zu tun, der sich aufrichtig um seine Mitarbeitenden kümmert – unabhängig davon, wie es in der Realität aussieht. Mit solchen Angeboten kann man sich dann selbst sagen, man habe schliesslich «getan, was man kann».
Für Menschen, nicht Spreadsheets
Genau hier liegt das Problem: Zu oft stabilisieren solche Angebote die strukturelle Überlastung, statt sie zu lösen. Insbesondere dann, wenn aus der Idee zu mehr Empathie plötzlich ein KPI wird, der indirekt zu einem Kontrollmechanismus mutiert und Mitarbeitende wie Führungskräfte unter Druck setzt.
Bröckelt die Fassade, muss man an anderen Orten ansetzen, nämlich bei den grundlegenden Bedingungen: Ressourcen, Teilhabe und der Frage, was man Menschen zumuten kann – und was nicht. Auch wenn das die Zahlen in den Excel-Sheets und jene, die sie interpretieren, nicht sofort freut. Denn nicht nur Menschen, sondern auch Firmen können über ihre Verhältnisse leben. Setzen sich Führungspersonen – und HR-Professionals ganz allgemein – nicht ernsthaft mit diesen Dingen auseinander, degradieren sie Empathie zu einem Trostpflaster mit Herzchenmuster. Oder anders: Fehlende Empathie ist oft nicht das Hauptproblem.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen solche Angebote. Auch nicht gegen ein mitfühlendes Kündigungsgespräch. Natürlich kann man mit Mental-Health-Programmen real existierendes Leid verhindern. Das zu bestreiten, wäre zynisch. Für mich ist es am Ende aber kein «Entweder/Oder», sondern ein «Ja, und»: Ja zu Gesprächen, zu Trainings, zu kostenloser Therapie. Aber auch ein Ja zu Strukturen, Ziel- und Entscheidungslogiken, die zuallererst den Menschen, die dort arbeiten, zugutekommen. Auch wenn das bedeuten würde, dass sich Empathie – und die damit verbundenen Entscheidungen – «nicht rechnet».
Und vielleicht, nur vielleicht, rechnet sie sich ja trotzdem.


