Das ist ein «gelber» Bewerber – «en Schnurri»

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Er ist kontaktfreudig, kreativ, zu hilfsbereit und kann nicht richtig zuhören. Er hasst Details, hält Termine nicht ein oder belegt sie doppelt. Anekdoten und Geschichten erzählt er gerne mit witzigem Unterton. Sein Büro ist unorganisiert und voller eigener Fotos und Auszeichnungen. Er hat einen grossen Bekanntenkreis – aber nur wenig enge Freunde. Ein typischer «Gelber» eben.

Haben Sie schon einmal einen dieser Persönlichkeitstests eingesetzt, um herauszufinden, welcher Kommunikationstyp ein Bewerber ist? Auch ich verwende solche Tests in Assessments und weiss sehr gut, wie viele Missinterpretationen, Fehlbeurteilungen daraus entstehen können. Ja – hier werden Schubladen bedient und das ist der grösste Kritikpunkt. Aus einem psychologischen Thema wird hier ein Kommunikationsthema gemacht.

Schubladendenken: Nicht die Finger einklemmen!

Natürlich dürfen Sie in Schubladen denken. Rot, Gelb, Grün und Blau sind solche Schubladen. Passen Sie jedoch gut auf, dass Sie die Schubladen offenlassen, sonst klemmen Sie sich Ihre HR-Finger ein – und das hat in der Personalgewinnung negative Folgen.

Die Grundidee ist gut. Neben verhaltensorientierten Systemen gibt es auch wertebasierte Systeme. Ein Modell, das beide Aspekte vereint, kann in verschiedenen HR-Prozessen wertvoll sein. Persönlichkeits- und Kommunikationstests sind sehr beliebt. Leider werden diese Tests oft nur einmal gemacht; und zwar vor dem Einstellungsentscheid.
Viele denken: «Nein, ich muss keinen Test mehr ausfüllen. Das habe ich schon vor 15 Jahren gemacht.»
Dabei wird ausser Acht gelassen, dass im Rahmen der Personalentwicklung jedem «getesteten» Mitarbeiter geholfen werden kann, seine Anteile besser auszuleben.
Menschen verändern sich – das bedeutet: Man darf sie aus einer Schublade nehmen und in eine andere legen. Aber dafür müsste man erst einmal die passende finden. Das wiederum ist aufwendig.

Kein Kommunikationstyp ist besser als der andere

Es sollte weniger darum gehen, mit welchen Worten ich wen genau anspreche, sondern vielmehr darum, ob ich in der Lage bin, Andersartigkeit zu akzeptieren. Genau das wollen die Persönlichkeitsmodelle erreichen. Nehmen Sie diese Modelle als Anregung, neugierig auf den Ist-Zustand zu schauen.
Wir kommunizieren am besten, wenn wir alle möglichen Typen in uns zeigen, indem wir alle Teile ausleben – Manche davon stärker, manche sehr schwach. Wichtig ist: Alle Anteile sind in uns und können dynamisch genutzt werden. Es gibt kein Ausruhen auf einem «Kommunikations-Ist-Zustand».

Es sollte nicht um die Frage gehen: Wer bin ich? Vielmehr: Was brauche ich? Brauche ich zum Beispiel mehr Fakten, Tabellen, Beweise, um entscheiden zu können – oder genügt mir einfach der Blick in die Augen meines Gegenübers? Viele Psychiaterinnen und Therapeuten schütteln den Kopf über diese Modelle. Solange leichtfertige Lösungen angeboten werden, die nichts mit dem echten Arbeitsleben zu tun haben, wird es nie eine wertschätzende Kommunikation geben.

Was also tun?

Der Einsatz dieser Kommunikationstests ist gut. Und wenn man als Personaler oder Personalerin im Lesen dieser Analysen geübt ist – umso besser. Kein Eintages-Onlinekurs kann die Erfahrung im sinnvollen Einsatz dieser Tools ersetzen. Diese Modelle sind nicht in einer Stunde erklärbar. Sie sind zu komplex. Entscheidend ist: die Andersartigkeit des Gegenübers wahrzunehmen und im Hier und Jetzt zu kommunizieren.

Beispiel:

Da ist der Abteilungsleiter Hans Hauser. Nach Persönlichkeitsmodell 1 ist er ein «Roter» und nach Persönlichkeitsmodell 2 ein Choleriker. Oft provoziert er Konfliktgespräche mit seiner Art. Das schätzen seine Mitarbeitende so gar nicht. Die Folge ist eine hohe Fluktuation in seiner Abteilung. Doch er kann lernen, solche Gespräche zu unterbrechen und eine Pause einzulegen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er kann erkennen, dass er in dieser Situation etwas ganz Anderes braucht, vielleicht Rückzug. Er darf seine ersten Impulse überdenken. Auch der Rote (wie auch jeder andere Kommunikationstyp) kann ständig dazulernen und sich anpassen. Dieser Choleriker kann Gelassenheit, Augenhöhe und Interesse in einem guten Gespräch anwenden. Denn vielleicht hat er einen hohen sozialen Wert und dieser macht eine solche Entwicklung gut möglich.

Das ist nicht einfach – ich weiss. Es ist einfacher zu sagen: «Unser Verkaufsleiter ist ein Choleriker. Zwischendurch flippt er mal aus – das muss man wissen und damit umgehen können.» Aber darum geht’s schlussendlich: Der Einsatz von Persönlichkeitstests in der Personalgewinnung und -entwicklung ist spannend. Verhaltens- und wertebasierte Modelle können hilfreich sein. Aber nichts ist in Stein gemeisselt. Unbewusst nutzen Sie in verschiedenen Situationen bereits verschiedene Kommunikationstypen.

Und da muss ich an Antoine de Saint-Exupéry denken. Er soll mal gesagt haben: «Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse.» Ich stimme ihm zu.

 

Mehr dazu auf www.dianarothcoaching.com und auf Podcast Abenteuer HRM.

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