Liebe Arbeit…

Sie gibt uns Struktur, Sinn und manchmal Erschöpfung: In einem persönlichen Brief wendet sich Bloggerin Barbara JosefBlog Barbara Josef HR Today Future Work an die Arbeit – über Wandel, Wertschätzung und die Frage, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Eine Hommage.

Liebe Arbeit,

Es ist Montagmorgen und ich versuche, mit dir warm zu werden. Nach einem Wochenende mit viel Sonne und Bewegung ist es nicht ganz einfach, zurück an den Schreibtisch zu finden. Immerhin lenkt das Wetter nicht unnötig von dir ab; der Himmel ist so wolkenverhangen, dass der Rasenmäher-Roboter vor meinem Fenster mit Licht fahren muss. Du denkst, ich hadere mit dir? Das Gegenteil ist der Fall: ich möchte dir eine persönliche Hommage widmen.

An meine erste Arbeit kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern. War es Autowaschen für meine Eltern, gegen einen kleinen Sackgeldbonus, Kinderhüten bei den Nachbarn oder Regale auffüllen bei der Migros in den Schulferien? Wenn ich heute darüber schreibe, wie sich die Arbeit selbst – und unsere Vorstellung von guter Arbeit – in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten verändert hat, so habe ich nur einen kleinen Teil davon selbst miterlebt und dies nicht mal sehr bewusst. Meine Leidenschaft für dich hat sich erst in den letzten 15 Jahren herauskristallisiert, auch wenn wir uns rückblickend immer sehr wohlgesonnen waren und du und vor allem die Menschen, denen ich durch dich begegnete, mich stark geprägt haben.

Als Queen Elizabeth vor einigen Jahren verstarb, und ein Magazin dies auf dem Titelblatt mit «You did your duty Ma’am» würdigte, wurde mir einmal mehr bewusst, wie sich die Motive, die wir in dir sehen, im Laufe der Zeit verändert haben und auch weiter verändern werden. Vom Broterwerb, zum Nachkommen einer Pflicht, hin zur Suche nach der persönlichen Entfaltung.

Das Bild zeigt das Cover des Daily Stars zum Tod von Queen Elizabeth. Titel: You did your duty, Ma'am.

In einer vor kurzem publizierten Studie1, die der Frage nachgeht, welche Faktoren am meisten zu einem erfüllten Leben beitragen, wirst du als Erstes genannt, nebst den familiären Beziehungen und der Rolle der Menschen in ihrer Gemeinschaft. Und dies quer durch alle sozialen Schichten und unabhängig davon, welchen Beruf die in der Langzeitstudie befragten Personen ausübten.

Du bist nicht der Sinn des Lebens, aber unumstritten ein wichtiger Bestandteil eines guten Lebens. In entwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz, wo man eher von einem Arbeitnehmermarkt spricht, spielen uns viele Veränderungen in die Hand.

Die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf nimmt kontinuierlich ab, die Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitgestaltung nehmen zu. Der Wandel weg von einer Geniekultur hin zu einer Wachstumskultur2 macht das Arbeitsklima menschlicher und führt dazu, dass Potenziale gefördert und individuelle Stärken berücksichtigt werden.

Das ist nicht nur dem Fachkräftemangel geschuldet oder den Bemühungen der Unternehmen, Mitarbeitende zu finden und zu binden, sondern auch der Erkenntnis, dass die Ergebnisse auf lange Sicht besser sind, wenn den Mitarbeitenden mit Respekt und Wertschätzung begegnet wird.

Wie geht es nun weiter mit uns, liebe Arbeit?

So wichtig es in der Vergangenheit war, die Rahmenbedingungen zu verbessern und die Arbeitszeiten zu reduzieren, beginnt nun ein neues Kapitel. Denn «Future Work» ist weit mehr als ein Pimpen der Rahmenbedingungen.

Nicht einseitige Massnahmen zur Arbeitszeitreduktion, Arbeitsvermeidung oder Arbeitsverwässerung bringen uns weiter, sondern die grundsätzliche Frage: «Wie wollen wir morgen zusammenarbeiten?»

Nur wenn wir diese Frage in den Fokus rücken, nutzen wir das aktuelle Chancenfenster und gestalten dich so, dass du für uns als Individuum und als Gesellschaft noch bedeutsamer und damit wertvoller wirst. Darunter fallen gleichermassen grosse Themen wie beispielsweise das visionäre Geschäftsmodell «all-holder-value» des Baumwoll-Pioniers Remei, aber auch das kleine, ermutigende Erlebnis, das eine Reinigungskraft der Familie beim Abendessen von ihrem Arbeitstag erzählt.

Ich verdanke dir, liebe Arbeit enorm viel. Als neugieriger Mensch hast du mir Türen in Welten geöffnet, die mir zuvor unbekannt waren. Wie kommen Produkte von der Lastwagenrampe ins Einkaufsregal? Wie wärmt man auf 10’000 Metern das Essen für 300 Passagiere auf? Wie gestaltet man mit Kindern den ersten Schultag? Wie funktioniert die interne Post in einem neuen Bürogebäude? Wie sieht der Alltag in einem Kernkraftwerk aus? Das alles sind Dinge, die ich in vielleicht anstrengenden, aber durchaus lohnenden Arbeitstagen gelernt habe.

Du machst mich immer wieder stolz, wenn ich eine scheinbar unüberwindbare Hürde hinter mir lassen kann. Dank dir habe ich meine Stärken besser kennengelernt und kann an meinen Schwächen arbeiten. Mit dir kann ich Dinge bewegen, Neues schaffen und Spuren hinterlassen. Durch dich erziele ich Wirkung. Dank dir erfahre ich täglich Wertschätzung.

Du hast mir meine Grenzen aufgezeigt, mir Lehren erteilt, mich gegen Wände laufen lassen und mich vom hohen Ross runtergeholt, bevor ich richtig oben sass.

Dank dir machen Pausen Freude und sind Ferien etwas ganz Besonderes. Mit dir hat mein Leben Strukturen, die Halt und Orientierung geben. In einer Welt, die manchmal Kopf steht, sind solche sicheren Räume von unschätzbarem Wert.

Für deine Zukunft wünsche ich dir, dass du die Anerkennung der Gesellschaft erhältst, die dir zusteht. Natürlich wünsche ich mir das gleichermassen für die Menschen, die dich ausmachen und die täglich ihr Bestes geben.

Dass du Quelle der Zuversicht und nicht Ursache von Entmutigung und Überlastung bist.

Dass wir gemeinsam mit dir und nicht gegen dich Pläne schmieden und Massnahmen treffen, die uns weiterbringen.

Dass wir uns immer wieder in dir verlieren und dennoch gesunde Grenzen ziehen können.

Dass wir mit Freude Grosses leisten und uns an kleinen Fortschritten erfreuen können.

Dass wir dank dir auf Unerwartetes stossen und uns bedeutsame und unerwartete Begegnungen geschenkt werden.

 

Besonders wünsche ich mir, dass dank dir jeder spürt, wie wichtig sein Beitrag ist und dass es ihn in unserer Gesellschaft dringend braucht.


In Verbundenheit, 
Barbara


1 Lagakos, D., Michalopoulos, S., & Voth, H. J. (2025). American Life Histories (No. w33373). National Bureau of Economic Research.
2 Murphy, M. C. (2024). Cultures of growth: How the new science of mindset can transform individuals, teams, and organizations. Simon and Schuster.

 

1 comments for “Liebe Arbeit…

  1. 15. Mai 2025 um 14:32

    Liebe Barbara, deine Hommage kommt einer aus tiefstem Herzen stammende Liebeserklärung gleich, und ebnet damit den Weg hin zu einer Humanen Zukunftswirtschaft. Gleichzeitig ist die ein Apell dafür, das Profitstreben und Menschlichkeit sich nicht mehr gegenseitig ausschliessen, sondern eine unabdingbare Symbiose eingehen, bei der alle als Gewinner ihren Nutzen ziehen.
    Ein herzliches Dankeschön dafür.

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