Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet

HR-StrategieEs sind oft die Fragen der neuen Mitarbeitenden, die uns in Bedrängnis bringen. Es sind die wichtigen, selbstverständlichen Fragen, über die wir schon lange nicht mehr nachdenken. Schliesslich sind wir schon lange dabei. Wir machen unsere Arbeit. Zudem stellen wir gewisse Fragen gar nicht mehr, weil sie zu oft gar nicht, oder ausweichend beantwortet wurden. Da muss schon ein Neuer auftauchen und ganz unschuldig fragen: «Was ist denn Eure Strategie?»

Kennen Sie das? Und kennen Sie auch die coolen Strategie-Workshops im tollen Seminarhotel? Da wurde Geschichte geschrieben. So richtig mit vielen Post-its und allem Drum und Dran. Die Geschichte der Firmenzukunft. Die Strategie der nächsten drei Jahre. Wir waren stolz. Wir waren uns sicher, dass die Zukunft uns nichts anhaben kann. Der Tiger war geboren. Stark, achtsam, weise. Nur: Viele Tiger, die stolz abspringen, landen auch heute noch als Bettvorleger. Leider. Die Gründe.

Fehlender Fokus

Unternehmen schreiben eine Strategie, lassen sie verabschieden und kehren zur Arbeit zurück. Der Alltag frisst die strategischen Tiger, bevor sie den Käfig verlassen haben. Die operative Hektik lässt rasch vergessen, was man im tollen Workshop auf der Alp zusammengeschrieben hat. Ablenkung hier, dort und eigentlich überall. Oft entstehen so Strategien des Monats, bald Strategien der Woche. Und so ist es wie mit einer Erkältung: Nach ein paar Tagen ist alles vorbei und das Leben geht weiter. Gute Unternehmen dagegen haben die strategischen Handlungsfelder auf jeder Traktandenliste. Sie bleiben fokussiert.

Mangelnde Konsequenz

Nicht nur der Alltag ist der Feind des strategischen Tigers, auch die vielen neuen Ideen. Ein Artikel in einem Business Magazin oder ein Seminarbesuch genügen. Ein (interner) Kunde hat einen Wunsch geäussert und schon verändert man die Route. Niemand hält die Richtung, ein kleiner Windstoss genügt. Erfolgreiche Firmen machen das so: Wer ein neues Vorhaben starten will, muss nachweisen, dass es hilft, eines der Handlungsfelder voranzubringen. Sonst wird das Projekt gestrichen. Das gilt auch dann, wenn die neue Idee vom Chef persönlich kommt. Nichts als konsequent.

Tagesgeschäft lässt uns keine Zeit

Niemand hat Zeit für unseren Strategietiger, obwohl er dringend gefüttert werden muss. Aber alle unsere Hühner, Esel und Kühe auch! Also geht es dem Tiger jämmerlich. Selbst wenn alle rennen wie verrückt. Eines ist klar: Alle rennen am Tiger vorbei. Wir haben so viel zu tun. Einmal sagte mir ein Manager, dass er allerhöchstens 10 Prozent seiner Arbeit für strategische Themen aufwende. Meine Antwort: «Das ist doch fantastisch! Sie haben einen halben Tag pro Woche Zeit, sich um strategische Themen zu kümmern.» Gute Führungskräfte nehmen sich Zeit. Sie reservieren ganz bewusst diesen einen halben Tag, um sich dem Tiger anzunehmen – ohne E-Mails, ohne Meetings, ohne andere Ablenkungen. Und der Tiger ist überglücklich.

Zu viele Projekte

Mein absolutes Highlight war ein Unternehmen, das es auf stolze 140 Projekte brachte, obwohl es nur 110 Mitarbeitenden beschäftigte und vorwiegend mit dem Tagesgeschäft kämpfte. Das ist ein absurdes Verhältnis. Aber leider kein Einzelfall. Wer sich gleich ein ganzes Tigergehege zulegt, muss sich nicht wundern, wenn bald gar nichts mehr funktioniert. Die vielen Tiger werden früher oder später über ihre Hühner, Esel und Kühe herfallen! Und wenn ihr Tagesgeschäft vor lauter Projekten stillsteht, wird niemand merken, dass die Kunden davonlaufen. Unternehmen, die ihren Tiger im Griff haben, priorisieren ihre Vorhaben regelmässig und achten darauf, dass das Tagesgeschäft und die Zukunftssicherung des Unternehmens nebeneinander Platz finden.

Keine Rituale

Wenn die Strategie als Powerpoint-Präsentation in der Schublade landet, gibt es wenig Hoffnung auf Umsetzung. Ich habe mit Teams gearbeitet, die sich beim nächsten Strategie-Workshop nach einem Jahr verwundert die Augen rieben. Was? Das haben wir letztes Jahr geschrieben? Gar nicht schlecht! Wer also seinen Strategietiger erst nach einem Jahr wieder besucht, ist sicher zuerst überrascht, dass er überhaupt noch lebt. Meistens ist er jämmerlich verhungert. Die Strategie gehört nicht nur auf die Traktandenliste jeder Geschäftsleitung, es braucht auch regelmässige Review-Rituale und Planungsmeetings. Hier werden Kursabweichungen korrigiert und die Richtung neu justiert. Fragen werden gestellt: Was haben wir in den letzten drei Monaten gut gemacht? Wo können wir noch besser werden? Wie können wir und gegenseitig noch optimaler unterstützen?

Unklare Verantwortlichkeiten

Wer dem Strategietiger Schlechtes will, der bestimmt planlos möglichst viele Verantwortliche, die den Tiger füttern müssen. Das führt unvermeidlich dazu, dass der Tiger mangels unklarer Verantwortlichkeit verhungert. So bringt man die besten strategischen Ideen relativ einfach unter den Boden. Gute Unternehmen geben klare Verantwortlichkeiten, Lieferobjekte und Zeithorizonte vor. Diese sind terminlich eng gefasst. Schnell wird klar, wo Abweichungen entstehen. Man kann flexibler reagieren und die richtigen Hilfestellungen bereitstellen.

Schlechte Kommunikation

Immer wieder gut sind Situationen, in denen eine grössere Anzahl Mitarbeitender auf einer Veranstaltung behauptet, noch nie vom Tiger gehört zu haben. Strategie das unbekannte Wesen. Die Standardantwort: «Die Strategie wurde doch an der letzten Veranstaltung erklärt. Sogar der Verwaltungsrat hat sie verstanden!» Leider entsteht die Botschaft beim Empfänger (Kommunikation Lektion 1). Wenn wir also wollen, dass sich möglichst viele unserer Mitarbeitenden mit dem Tiger anfreunden, müssen wir ihn auch richtig bekannt machen. Nichts ist schlimmer als ein Tiger, der irgendwo in einem Käfig ist, aber niemand weiss wo. Die wildesten Gerüchte entstehen. Auf der anderen Seite: Nichts ist besser als ein Tiger, den alle lieb haben. Denn dann sind alle Mitarbeitenden Teil der Strategieumsetzung. Sie helfen mit, die Zukunft der Unternehmung zu gestalten. Gute Unternehmen geben viel auf Kommunikation. Sie sind nicht zufrieden, wenn der Verwaltungsrat genickt hat. Sie wollen, dass alle Angestellten verstehen, wohin die Reise geht. Egal ob sie im Marketing, im HR, in der Produktion oder als Chauffeur arbeiten.

Fazit

Ich hoffe sehr, dass ich einen kleinen Beitrag leisten konnte, um ihren Strategietiger zu retten. Denn nichts ist frustrierender als einen stolzen Tiger als Bettvorleger vorzufinden sowie einem neuen Mitarbeitenden mit einem Schulterzucken antworten zu müssen.

 

 

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