Sind wir bereit Verantwortung zu teilen – oder wollen wir nur so tun?

Selbstorganisation und Agilität klingen nach Freiheit, flachen Hierarchien, Highspeed-Entscheidungen und glückseligen Mitarbeitenden. Die Realität sieht oft anders aus: chaotische Meetings, unklare Rollen und manchmal der stille Wunsch nach der Rückkehr gewohnter Strukturen. Was braucht es also, damit selbstorganisierte Teams funktionieren? Wo liegen Stolpersteine? Welchen Unterschied macht dabei KI?

Die nötigen Voraussetzungen schaffen

Bevor sich ein Unternehmen auf den agilen Weg macht, sollten einige unbequeme Fragen gestellt und vor allem ehrlich beantwortet werden:

  • Passt Agilität zu unseren Produkten, Märkten und Menschen?
  • Haben wir das aufrichtige Commitment des Führungsgremiums/der Geschäftsleitung für diese Transformation?
  • Wollen wir den Initialaufwand für eine selbstorganisierte Zusammenarbeit wirklich leisten?
  • Haben wir die Ressourcen, um den Kulturwandel durchzuhalten? Denn der Change zur Agilität ist ein Marathon, kein Sprint.

Fällt der Entscheid positiv aus, ist es sinnvoll, mit einem eindeutig definierten Framework eine tragfähige Basis herzustellen, beispielsweise entlang dieser Punkte:

  1. Gleiches Verständnis für alle – Selbstorganisation bietet reichlich Interpretationsspielraum, deshalb muss ein gemeinsames Verständnis darüber bei allen Beteiligten geschaffen werden.
  2. Rollen statt Titel – Führung, Verantwortung und Entscheidungsrechte müssen sauber verteilt und transparent gemacht werden. «Alle machen alles» endet im Chaos.
  3. Klare Leitplanken – Selbstorganisation heisst nicht «Anarchie». Es braucht Spielregeln, Ziele und eine Kultur, die Fehler erlaubt, aber Orientierung gibt.
  4. Kompetenz und Reife – Teams müssen in Konfliktfähigkeit, Kommunikation und Entscheidungslogik geschult sein. Ohne diese Basis wird Agilität zur Schönwetterübung.

Was sich bewährt

Organisationen, die Agilität erfolgreich in ihrer Unternehmenskultur verankern wollen, starten selten mit einem «Big Bang». Stattdessen beginnen sie in einzelnen Projekten oder Teams, sammeln Erfahrungen und übertragen die Prinzipien schrittweise. Hilfreich sind:

  • Pilotbereiche mit klarer Abgrenzung
  • Begleitung durch erfahrene Coaches – kein absolutes Muss, aber in den meisten Fällen ein starker Beschleuniger und Stabilitätsfaktor.

Ein vergleichbares Vorgehen hat auch Gesundheitsförderung Schweiz gewählt. Mitte 2023 startete die Stiftung in ihrer Abteilung «Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)» die Transformation zur selbstorganisierten Zusammenarbeit in verschiedenen Angebotsteams (AT). Der Prozess wird seit Ende 2024 eng von Agile Coach Cindy Eggs, Inhaberin von Explorativa, begleitet – vom klar gesetzten Rahmen mit eindeutigen Rollendefinitionen über Schulungen der Mitarbeitenden sowie stetes Testen und Anpassen der genutzten Selbstorganisations-Tools im Sinne von «try fast, fail fast, learn fast». Das Ziel ist, auf diesem Wege die Zusammenarbeit in den ATs effektiver sowie effizienter zu gestalten und ebenso die Zusammenarbeit mit der bestehenden Matrixorganisation zu verbessern.

Hybride Formen sind erlaubt

Dazu Cindy Eggs: «Es gibt nicht die eine richtige Form, Agilität in einem Unternehmen zu implementieren. Entscheidend ist der Mehrwert für die Organisation zum Erreichen ihrer Ziele.» Für viele Unternehmen ist die hybride Variante sogar der realistischere und erfolgreichere Weg. In Innovations- und Projektteams kann Selbstorganisation enorm wirksam sein. In stark regulierten Bereichen (zum Beispiel Compliance, Finanzen) sind eine gewisse Hierarchie und klare Struktur oft unverzichtbar. Eine Mischform erlaubt, die Flexibilität agiler Teams mit der Stabilität klarer Strukturen zu verbinden.

Wie verschieden sich Agilität realisieren lässt, illustriert das Beispiel eines von Cindy Eggs begleiteten kleineren KMU aus der Bildungsbranche. Das Unternehmen startete mit Pilotprojekten und transformierte Schritt für Schritt die gesamte Firma zur agilen Organisation. So konnten die Mitarbeitenden individuell abgeholt und sukzessive eine gemeinsame Sprache etabliert werden.

Wie steht’s um die gesundheitliche Wirkung?

Studien und Praxiserfahrungen zeigen: Richtig umgesetzt, kann Selbstorganisation entlastend für die psychische Gesundheit wirken. Mehr Mitbestimmung, klar verteilte Verantwortung und flexible Arbeitsweisen fördern Motivation und Resilienz. Erste mündliche Rückmeldungen sowie die Ergebnisse der vor kurzem durchgeführten Job-Stress-Analysis (JSA) weisen in diese Richtung. Aus ihnen geht beispielsweise hervor, dass sich in der Abteilung BGM die Arbeitsorganisation stark verbessert hat. Der Schluss liegt nahe, dass dies auch mit der verbesserten Zusammenarbeit in den selbstorganisierten ATs zu tun hat.

Welche Rolle spielt KI?

Künstliche Intelligenz kann Agilität sinnvoll unterstützen – durch transparente Datenauswertung, Automatisierung repetitiver Aufgaben oder Simulationen für Entscheidungsprozesse. Dies gelingt umso besser, wenn es sich um KI-gestützte Lösungen handelt, die auf einem transformationsorientierten Modell basieren wie zum Beispiel die «Power Duck», die auf vitales Changemanagement fokussiert. Umfassende Informationen über geeignete Tools und vieles mehr bietet das Praxiskapitel «KI-Einsatz am Arbeitsplatz – Psychologische Dimension und Prävention» (S.188 ff.) des im Juli 2025 erschienenen KI-Praxisleitfadens der FHNW, der auch von Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt wurde. Gleichzeitig gilt: Je mehr Routine KI übernimmt, desto wichtiger werden Beziehungsarbeit und Teamkultur.

Fazit

Selbstorganisation und Agilität können Organisationen dynamischer, kreativer und resilienter machen. Dafür braucht es klare Rollen, Mut zur Veränderung, Geduld und eine offene Kommunikation. Gleichzeitig ist Agilität ist kein «Alles-oder-nichts-Konzept», teilweise Einführung in einzelnen Bereichen ist durchaus sinnvoll. Am Ende bleibt eine entscheidende Frage: Sind wir bereit, diesen Weg zu gehen und aus Erfahrungen zu lernen?

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