Leere Lehrstellen – das Passungsproblem

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Mich beschäftigt zurzeit ein Thema stark und ich wundere mich, dass weder die Medien noch die Öffentlichkeit es öfter aufgreifen.

Mit dem Risiko, dass mein heutiger Beitrag nur die Leute anspricht, die sich vertieft mit dem Thema Jugend und Arbeitsmarkt beschäftigen, möchte ich das aktuelle «Passungsproblem» etwas näher durchleuchten. Denn es ist zentral. Zentral für die Jugend und die Eltern. Zentral für den Arbeitsmarkt in der Schweiz.

Nun, wovon rede ich:

1. Das Besetzungsproblem

In der Schweiz bleiben im nächsten Monat fast 10’000 Lehrstellen unbesetzt. Vor zwei Jahren waren es noch 8’500. Das ist ein fundamentales Problem für die Schweizer Wirtschaft. Uns fehlen 600 ausgebildete Elektroinstallateure. Wir können die Auftragslage nicht befriedigen – um nur ein konkretes Beispiel der Konsequenzen aufzuzeigen.

2. Das Versorgungsproblem

Zwei Beispiele: Im Kanton Bern waren am 30. Juni 2016 noch 400 Jugendliche auf Lehrstellensuche. In St. Gallen deren 256 – und 590 waren in einer Zwischenlösung. Ich rechne damit, dass von den rund 70’000 Lehrstelleninteressierten etwa 3’500 (5 %) keine Lehrstellen finden und weitere 5’000 bis 7’000 Schüler in eine Zwischenlösung (10. Schuljahr, Berufswahljahr etc.) wandern werden.

Steigen die Besetzungs- und die Versorgungsproblematik parallel an, sprechen wir von:

3. Das Passungsproblem

Deutschland kennt diese Herausforderung in weit höherem Masse: So schrieb das BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) schon 2014 folgendes:

Je grösser die Passungsprobleme werden, desto weniger trägt ein rechnerischer Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage dazu bei, dem Fachkräftebedarf der Wirtschaft und dem Versorgungsbedarf der Jugendlichen gerecht zu werden.

Zu befürchten ist, dass Betriebe, die über längere Zeit erfolglos Lehrstellen anbieten, sich irgendwann enttäuscht vom Ausbildungsmarkt zurückziehen.

Aufseiten der Jugendlichen muss mit stark verzögerten Übergängen in Berufsausbildung gerechnet werden und es steigt die Gefahr, dass ein Teil dauerhaft ausbildungslos bleibt.

Dies gilt für die Schweiz genauso. Hier tickt also eine Bombe: Fachkräftemangel auf der einen Seite – Jugendarbeitslosigkeit auf der Anderen.

Aber wie gehen wir das Thema an? Was ist zu tun? Ich riskiere drei Hauptthesen:

a)

Eltern – vor allem die Mütter (Hauptbeeinflusser der Schüler) – und die Schüler selbst beharren oft zu stark und zu lange auf Wunschberufen. Ein Aufruf, immer auch einen Plan B oder C zu erarbeiten wäre von höchster Dringlichkeit. Die Chancen, sich später dem Traumberuf und der Berufung zu nähern, sind alleweil voll intakt.

b)

Eltern und Schüler haben oft ein zu optimistisches Selbstbild. Sie unterschätzen die Anforderungen der Berufe und überschätzen ihre Fähigkeiten. Berufsberatungen und Schulen müssen früher – ab dem achten Schuljahr – allgemein verständliche Hilfsmittel hierzu anbieten, um die Transparenz zu erhöhen.

c)

Betreiber von Zwischenlösungsinstituten und Lehrfirmen müssen viel enger zusammenarbeiten. Jeder Schüler sollte vor und während dem Start in eine Zwischenlösung mehrmals in Bezug auf den Direkteinstieg in die Lehre beraten und unterstützt werden. Berufsverbände sollten diese Entwicklung treiben.

Es ist nicht abzusehen, dass sich die Situation kurzfristig entspannen wird. Und wahrscheinlich auch nicht mittelfristig, wenn die Schulabgänger-Zahlen wieder steigen.

Also sollten wir schnellstmöglich reagieren. Die Jugendarbeitslosigkeit gilt es im Keim zu ersticken.

Wenn Lehrstellen leer bleiben heisst das, dass weniger Menschen unsere Wohnungen und Häuser bauen und instand halten, unsere Maschinen und unsere Arbeitsgeräte bauen und entwickeln, unsere Strassen, unsere Energieversorgung und unsere Sicherheit gewährleisten … Eher früher als später ein direkter Verlust unserer Lebensqualität.

Die Bildungspartner scheinen zur Lösungsentwicklung etwas träge. Ich hoffe und zähle darauf, dass der eine oder andere Politiker zur schnelleren und besseren Problemlösung die Ärmel hochkrempelt und sich dem Thema annimmt!

1 comment for “Leere Lehrstellen – das Passungsproblem

  1. Rolf Siebold
    1. November 2016 um 13:14

    Interessante Thesen die in den Grundzügen ihre Berechtigung haben.

    Doch auf die Politik zu hoffen und zu zählen ist ziemlich vermessen. Denn wiederwahlfixierte Politiker – oder solche die es werden wollen – hören wir an der Basis meist nur knapp vor den Wahlen.

    In bester Erinnerung bleiben hierzu die Anfeindungen einer SP-Politikerin aus Schaffhausen, in denen Sie u.a.die Lehrabschlussprüfungen als ungerecht bezeichnete und somit Experten, Verbände und Prüfungskommissionen in Frage stellte.

    Unsere Gedanken zu diesem Beispiel:

    – Warum meldete sich die angehende Nationalrätin erst vor den letzten Wahlen öffentlich?
    – War sie zu diesem Zeitpunkt nicht selber Berufsschullehrerin in Bülach?
    – Hatte Sie nicht schon lange zuvor Kenntnis über die Noten ihrer eigenen Schüler?
    – Warum intervenierte sie nicht früher direkt bei den schwächeren Schülern? Eltern und Lehrbetrieben?
    – Hat sie ihre Verantwortung als Lehrperson wahrgenommen, oder hat sie die Dinge des Laufes preisgegeben?
    – War es Kalkül auf Kosten der Berufsbildung? Oder eben; Zweck zur Wahl in den Nationalrat?

    Es ist offensichtlich, wo Potentiale zur Verbesserung brach liegen. Vielleicht wird dieses Thema vor den nächsten Wahlen ja wieder aufgegriffen…

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