Die Rolle von HR im Change-Prozess

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HR-PraxisEs steht ein Wandel an. Wir stellen Gewohntes nicht mehr infrage, sondern verändern es in naher Zukunft. Unter Umständen verschwindet Alltägliches und macht dem unbekannten Neuen Platz. Wir sind Profis und wissen: All dies löst Verunsicherung aus, schürt Ängste und Misstrauen – die Cafeteria mutiert zur Gerüchteküche.

Es wird kaum gelingen, dies komplett zu verhindern. Wohl aber, solchen Situationen bewusst zu begegnen. Eine Chance dazu bietet sich, wenn der HR-Profi den Führungskräften beratend zur Seite stehen kann. Mehr denn je kommt gerade hier jene Wahrheit zum Tragen, die im Management heute so oft verloren geht: Wenn es nicht gelingt, Menschen dort abzuholen wo sie stehen, muss man sich nicht wundern, wenn man sie nicht erreicht.

Wo also steht der Einzelne, wie reagiert er in einem Veränderungsprozess, was stresst ihn?

Im Film «In Search of Excellence» aus den 80er-Jahren kommt folgendes Experiment vor:

Eine Produktionswerkstätte hat am Fliessband mit fünf Mitarbeitenden eine Schulung abgehalten. Man brachte ihnen dabei neue und ungewohnte Handbewegungen bei, wie sie ihre Arbeit künftig auszuführen sollten. Nach drei Wochen liess der Leiter das Fliessband schneller laufen – ohne das Wissen der Betroffenen. Nach einer kurzen Irritation konnte man beobachten, wie die überforderten Arbeitskräfte nach und nach wieder in ihre herkömmliche Arbeitsweise zurückfielen und die altvertrauten Handbewegungen von früher ausführten.

Aufgrund dieses Beispiels lässt sich die erste von fünf Erkenntnissen im Rahmen eines Change-Prozesses ableiten:

1. Erkenntnis: Überforderte Menschen tendieren dazu, auf altvertraute Muster zurückzugreifen. Dasselbe trifft auch auf Führungskräfte zu, welche durch äussere Veränderungen verunsichert sind.

Ein Change-Prozess bedeutet immer, ein altes System zu verlassen und in eine neue Struktur mit vielen Unbekannten aufzubrechen.

2. Erkenntnis: Nicht nur eine stufengerechte, sondern auch eine rasche und transparente Kommunikation erleichtert den Prozess. Die heutigen Möglichkeiten bieten ein breites Spektrum an innovativen Ideen. Zum Beispiel Veränderung von Sitzungsstrukturen, Involvieren von Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen, Einsatz von Medien, technischen Hilfsmitteln etc. Wichtig ist, dabei nie zu vergessen: Keine Information ist auch eine Information.

Und erinnern wir uns gleichzeitig an die goldene Regel in der Kommunikation: Es ist nicht wichtig, was ich sage, sondern was mein Gegenüber versteht. Eine Konsequenz neuer Strukturen besteht in vielen Fällen darin, dass sich auch Wirkungs- und Tätigkeitsfelder verändern. Dies kann sich auf bisherige Funktions- und Hierarchiestufen auswirken.

3. Erkenntnis: Um sicherzustellen, dass die geeigneten Personen künftig auch die richtigen Positionen besetzen, ist es unumgänglich, Anforderungs- und Stellenprofile für Schlüsselfunktionen zu überprüfen. Jede Veränderung einer Struktur schafft ein neues Selbstverständnis, Tradition läuft Gefahr, verpönt zu werden, Innovation wird zum neuen Schlagwort.

4. Erkenntnis: «Change» bedeutet immer, die bestehenden Werte zu hinterfragen. Aber auch, sich der Dynamik einer sich verändernden Unternehmenskultur zu stellen. Verschiedene Generationen und Menschen aus der verschiedensten Kulturen bereichern die heutige Gesellschaft.

Die Lebensgestaltung, das technische Verständnis, der Umgang mit Konflikten und vieles mehr folgt gleichermassen konventionellen wie aussergewöhnlich originellen Vorstellungen der Mitarbeitenden.   

5. Erkenntnis: Leben ist nicht eine Vorstellung in Bildern, sondern eine Darstellung individueller Realitäten. Wenn zwei Menschen dasselbe erleben, bedeutet dies noch lange nicht, dass sie es auch gleich interpretieren und verstehen. Unternehmen müssen Mitarbeitende individuell abholen. Was für den einen problematisch ist, bedeutet für den anderen eine willkommene Herausforderung.

Jeder dieser fünf Punkte birgt in sich das Potenzial, Veränderungen zum Scheitern zu bringen. Jede dieser Erkenntnisse ist aber auch eine Chance und verlangt vom HR eine professionelle, proaktive Dienstleistung.

Wer sich in schwierigen Momenten hinter den rechtlichen Aspekten eventueller Probleme versteckt, die Prioritäten auf das Lohnsystem verschiebt oder sich darüber Gedanken macht, den Rekrutierungsprozess zu optimieren, ist ein guter Personalchef. Die Transformation zum HR-Verantwortlichen allerdings hat er wohl vor Jahren schon gänzlich verpasst …

4 comments for “Die Rolle von HR im Change-Prozess

  1. 13. Juli 2018 um 8:42

    Gute Punkte und Ausführungen! Dasselbe gilt in noch grösserem Masse für die ganze Führungscrew (Management). Und um diese Punkte zusammen mit den Menschen (Mitarbeitenden) auch umsetzen zu können, brauchen alle Beteiligten Zeit – und genau diese Zeit wird in Change-Prozessen nicht mehr gewährt, weil alles „agil“, „dynamisch“ und „effizient“ sein muss… mit der genau gegenteiligen Wirkung… unfassbar… und das seit 20 Jahren… und schlussendlich ist das der Grund, weshalb schlussendlich die Mehrheit wieder „die alten Handgriffe“ anwendet… Also: Schenken Sie Zeit!!!

    • 6. August 2018 um 10:06

      Lieber Herr Geiger

      Herzlichen Dank für wertvollen Ergänzungen. Ich habe dem nichts beizufügen :-)

      Liebe Grüsse
      Markus Marthaler

  2. 12. Juli 2018 um 8:45

    Ich verstehe irgendwie das Bedürfnis nach Kontrolle, Ziele und Effizienz in der leistungsorientierten Unternehmenswelt. Aber solange die Veränderung als Prozess mit im vorab definierten Kommunikationsplänen verstanden wird, solange kann wahre Veränderung nicht stattfinden. Veränderung soll immer, jeden Tag und kontinuierlich passieren, mit der Frage „Was können wir heute tun um morgen etwas besser zu sein“. So überfordert das Unternehmen den Menschen und die Organisation nicht. Die Menschen sollen aktiv verändern wollen und nicht müssen – Pull statt Push!

    Und der Vergleich mit einem Beispiel aus den 80er Jahren – ernsthaft?

    Just think about :)

    • 6. August 2018 um 10:13

      Liebe Leandra

      Ich bin mit Ihnen absolut einverstanden. Vielleicht habe ich mich in meinem Artikel nicht spezifisch genug ausgedrückt. Der Inhalt richtete sich konkret auf einschneidende Veränderungen innerhalb eines Unternehmens welche alle Mitarbeitenden sichtbar ausserhalb der „täglichen“ Change Prozesses involviert. In diesem Falle gibt es wesentlich mehr Punkte zu beachten, da dies auch immer sofort eine Auswirkung auf die Kultur eines Unternehmens mit sich zieht.

      Und zum Vergleich aus den 80er Jahren, ja, das ist ernsthaft und aus meinem auch heutigen Erleben im praktischen Alltag oft mit tragischen Folgen für die Einzelnen verbunden…

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