Alle sind online – nur die Jugend nicht

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BerufsbildungSind Sie in Ihrem Umfeld mit Jugendlichen in Kontakt? Welches Bild sehen Sie vor sich, wenn Sie diese beobachten?

Sie sind am Handy! Aktuelle Studien zeigen, dass überall in der Schweiz und zwar wirklich überall, also auch in meinem Heimatkanton Graubünden (in der hintersten Ecke sozusagen), 100 % Internet-Erreichbarkeit herrscht, und dass damit verbunden die Jugendlichen 24/7 (24 Stunden und 7 Tagen die Woche) online sind (James Studie). Sie sind es sich gewohnt, dauernd zu kommunizieren, zu kommentieren, Bilder und Inhalte zu teilen, Musik und Filme zu konsumieren und allenfalls sogar Inhalte für die Schule zu finden und zu erarbeiten.

Nun beobachte ich allerdings in diesem Zusammenhang ein ganz erstaunliches Phänomen:

  1. Die meisten Jugendlichen bewerben sich auf eine Lehrstelle immer noch schriftlich
  2. Firmen, welche auf 100 % Online-Bewerbungen umgestellt haben, kämpfen mehr um Bewerbungen von Schülern als andere

Die Entwicklung der Anzahl von papierbasierten Bewerbungen im Gesamtmarkt (Fokus Erwachsene) zeigt die folgende Grafik der grössten Studie im deutschen Sprachraum (Monster Recruiting Trends) auf eindeutige Art und Weise:

Monster_Recruiting_Trends

 

Ganz konträr ist hingegen das Bewerbungsverhalten der Schülerinnen und Schüler in der Schweiz: Durchschnittlich verfasst ein Schüler rund 14 schriftliche Bewerbungen bis zur Lehrstelle!

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Man rechne:

  • Rund 70’000 Jugendliche interessieren sich jährlich für eine Lehrstelle
  • 
70 % bewerben sich schriftlich (Umfrageresultate von yousty.ch)

Somit: 49’000 x 14 schriftliche Bewerbungen = 686’000 Bewerbungen à ca. 8 Seiten* = 5.5 Mio. Seiten Papier, die ausgedruckt werden.

*Inhalt einer Bewerbung: 1x Deckblatt, 1x Anschreiben, 1x Lebenslauf, 1x Motivationsschreiben, 3x Zeugnisse, 2x Tests und allenfalls weitere Dokumente (Schnupperberichte etc.).

Fazit:

  1. Ökologisch ist das bei weitem nicht! (Man denke an Papier, Druckerverbrauch, Druckerpatronen oder Transportkosten)
  2. Die Post freut’s: CHF 686’000 Umsatz mit Briefmarken

Aber warum nur ist das so und warum entwickelt sich die Jugend nicht nach dem Gesamtmarkt?
Für mich gibt es nur eine Erklärung: Die Lehrperson.
Höchstwahrscheinlich mit bester Absicht coachen sie die Schülerinnen und Schüler die Bewerbung auf einem Schulcomputer zu schreiben. Da wären die Daten also schon mal elektronisch verfügbar. Was dann passiert ist interessant: Die Schüler kopieren die Inhalte auf einen USB-Stick oder mailen sich diese nach Hause. Dort drucken sie die Unterlagen aus und verschicken das Dossier dann per Post. Kann sein, dass der eine oder andere Lehrer (durchaus gut gemeint) denkt, dass die Firmen individualisierte Bewerbungen in schriftlicher Form bevorzugen und sich die Schüler somit die Chance einer erfolgreichen Einstellung steigern. In Einzelfällen mag dies durchaus zutreffen. Bei der Mehrheit der Firmen ist dies jedoch nicht der Fall – und ausserdem ist Individualisierbarkeit bekanntlich auch elektronisch bestens möglich.

Hier ist wohl viel Aufklärungsarbeit bei Lehrern und allenfalls auch bei Berufsberatern angebracht – insbesondere wenn man die James Studie vor Augen hat und sieht, wie geübt die Jugendlichen mit digitalen Medien heutzutage umgehen. Mein Befund: «Es gibt viel zu tun – Packen wir’s an!»

7 comments for “Alle sind online – nur die Jugend nicht

  1. Urs Gnägi
    14. August 2015 um 12:51

    Und ich habe immer gemeint, die Eltern seien dafür zuständig, dass ihre Kinder eine Ausbildung absolvieren können.
    Dem Kind müssen die Eltern eine angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung verschaffen (ZGB Art. 302 Abs. 2).
    Der Schluss, dass die Lehrer daran schuld sein sollen, dass es zu wenige Online Bewerbungen gibt ist für mich an den Haaren herbeigezogen.
    Es gibt auch auf Seite Eltern und Betriebe noch ganz vieles zu tun, packen wir’s an!

    • Urs
      14. August 2015 um 18:18

      Lieber Herr Gnägi,
      ein sehr interessanter und richtiger Hinweis (ZGB)! Danke! Mir geht es nicht um Schuldzuweisung. Die Frage ist alleine, wo der einfachste Ansatz zur Verbesserung der Herausforderung steckt. Da es sich – zum Glück – eingebürgert hat, dass Lehrer die Schüler beim Bewerben unterstützen und sie im Schnitt 20 – 25 Schüler betreuen sollten sie dies möglichst Marktgerecht tun. Es ist einfacher und effektiver, wenn die Lehrer hier aufgeklärt sind. Das heisst nicht, dass die Eltern es nicht sein sollten.

      • Urs Gnägi
        19. August 2015 um 15:01

        Guten Tag Herr Casty
        Das stimmt, die Lehrer sind leider nicht alle auf dem neusten Stand, was Bewerbungen angeht. Es ist da sicher Nachholbedarf. Ich glaube aber das viele Firmen zu komplizierte Online Tools für Bewerbungen benutzen, welche eigentlich auf Erwachsene ausgerichtet sind. Für eine 14 jährige ist es dann schwierig, sich zu registrieren, danach herauszufinden, welche Felder nun ausgefüllt werden müssen. Bei jeder Firma läuft es wieder anders. Das heisst ich muss mich bei 10 Bewerbungen 10 mal mit Passwort registrieren und herausfinden welche Dokumente ich wo hochladen muss. Ich gehe davon aus, dass 70-90% der Jugendlichen welche sich auf Onlineplattformen bewerben von ihren Eltern unterstützt werden. Deshalb sind die Eltern so wichtige Begleiter in der Berufswahl. Wenn es die Eltern nicht können braucht es 1 zu 1 Begleitung durch den Lehrer, Schulsozialarbeiter, Berufsberaterin, Jugendarbeiterin, Bruder, … oder oder. Jugendliche sind zwar 24h Online, haben aber im Durchschnitt eine sehr schlechte Medienkompetenz!

        • Urs
          20. August 2015 um 8:33

          Sie haben mich vollständig überzeugt. Melden Sie sich doch mal bei mir zu einem Austausch!

          yousty.ch ist übrigens die erste Plattform, welche genau auf diese Bedürfnisse der Schüler eingeht.
          a) Einfaches Tool
          b) Einmal registriert – für alle Bewerbungen einsetzbar
          c) In Kürze (hoffentlich) mit Schnittstellen zu HR Tools der Firmen
          d) Im Gespräch mit berufsberatung.ch um es dort auch umzusetzen

          Aber auch darüber müssen wir dann die Lehrer informieren…..

  2. 20. Juli 2015 um 19:06

    Ich finde interessant, dass die Jugendlichen tendenziell weniger Bewerbungen schreiben als in den Vorjahren. Ist da ein Trend zu mehr Qualität statt Quantität? Oder finden sie einfacher/schneller eine Lehrstelle?

    Und ich kann mir auch nicht vorstellen, weshalb Jugendliche eher Papier- als elektronische Bewerbungen senden. Und an den technischen Kenntnissen kann es kaum liegen (Word-Datei in pdf umwandeln und Dokumente einscannen). Wahrscheinlich liegt es schon an den Empfehlungen von Lehrern und Berufsberatern.

    Und wenn wir schon dabei sind, kann jemand bitte den Lehrern und Berufsberatern sagen, dass es mir egal ist, wie die Eltern und Geschwister heissen und was sie berufsmässig tun? ;-)

    • Urs
      22. Juli 2015 um 8:42

      Lieber Etienne
      Aufgrund der Marktsituation (10’000 unbesetzte Lehrstellen) haben’s die Jugendlichen leichter. Das senkt die Bewerbungszahl, wie Du richtig vermutest. Die meisten Schüler bekommen schneller Antwort und schneller Zusagen. Vor allem die guten… Bei den Eltern ist das meistens noch nicht angekommen… Die sind alle noch sehr hektisch, wenn’s um die eigenen Kinder geht (oft, weil sie die eigene Geschichte kompensieren wollen).
      Das mit den Eltern und Geschwistern ist lustig. Ich sage Dir: Die Meinungen gehen diagonal auseinander. Während, vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen grossen Wert darauf gelegt wird, spielt es bei Konzernen sozusagen keine Rolle. KMU‘ argumentieren oft, dass dies in vielen Fällen gutes Feedback für die Sozialkompetenz und Softfaktoren bedeute aber auch die Möglichkeit eröffne in Härtefällen mit den Eltern gute Kontaktpersonen zu haben.

      In einem HR-Tool für internationale Firmen spielen solche Ueberlegungen natürlich keine Rolle. So oder so: dank der „modernen“ Technik kann jeder Betrieb ja seine individuellen Anforderungen in den Stellenanzeigen etc. bekannt geben und der Schüler liefert dann halt was er muss.

      Aber eben: dazu brauchen wir mehr Nutzung der elektronischen Tools…. ;-))

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